Esther und Dimitrios Tsatsas gelingt mit ihrem Label ein Spagat zwischen Zeitgeist und luxuriöser Zeitlosigkeit. Die Ledertaschen und Accessoires von „Tsatsas“ sind puristisch, progressiv und auf moderne Art klassisch. THE FRANKFURTER besuchte das Designerpaar in seinem Atelier.
Auch wenn die Frankenallee im Frankfurter Stadtteil Gallus ihr Image als düsteres Pflaster in den letzten Jahren ablegen konnte, ist sie nicht in erster Linie für ihren herausragenden Stil bekannt. Nach wie vor prägen vor allem Handyläden, Kneipen und Änderungsschneidereien das Straßenbild. Dass sich ausgerechnet hier ein international agierendes Designerlabel niedergelassen hat, verwundert zunächst. Dieser Eindruck schwindet, sobald man in das Atelier von Tsatsas tritt: Große Fensterfronten lassen viel Licht in den rund 100 Quadratmeter großen Raum. Die Sonne wirft ihre Schatten auf weiße Industrieregale, in denen die edlen Lederwaren fast wie in einem Museum präsentiert werden. Weiße Wände und schlichte Sperrholzplatten sorgen für die nötige Ruhe, um die Entwürfe optimal wirken zu lassen.
„MANY DO NOT WANT A LOGO“
WITH A GOLDEN NUMBER
Die Architektin und der Industriedesigner lernen sich 2002 in Frankfurt kennen, wo beide bei Stylepark, einer Plattform für Design und Architektur, arbeiten. Esther beginnt ihre Karriere als Redakteurin und steigt später in die Geschäftsführung auf. Dimitrios ist als Creative Director für die kreative Ausrichtung verantwortlich. Beide sind beruflich viel unterwegs. Doch es ist Dimitrios, der einen Mangel erkennt und daraus eine Idee entwickelt: Weil seine Suche nach einer schlichten Reisetasche, in der auch Kataloge und eine Kamera Platz finden, erfolglos bleibt, entwirft er kurzerhand selbst eine. Das Modell „Lucid“ ist ein Archetyp von einer Tasche und gehört bis heute zum Sortiment.
Ganz ohne Vorkenntnisse ging es natürlich nicht. Im Gegenteil: Dimitrios ist mit dem Lederhandwerk groß geworden. Sein Vater, der Anfang der 1980er-Jahre aus Griechenland nach Offenbach kam, ist Feintäschner mit eigener Werkstatt. Früher fertigte er mit seinem Team für Luxusmarken wie MCM. Heute produziert er ausschließlich für das Label seines Sohnes. Die handwerkliche Präzision seiner Arbeit zeigt sich vor allem im Innenleben: Alle Modelle sind mit dunkelblauem Lammnappa gefüttert und verfügen über ausgeklügelte Fächer für Handy, Portemonnaie, Schlüssel und Co. Wer genau hinsieht, erkennt: Jede Tasche ist ein Unikat. Das beweist nicht zuletzt die goldene Produktionsnummer, die jede Tasche im Inneren ziert.
COLLABORATION WITH ICONS
In den vergangenen elf Jahren ihres kreativen Schaffens ist das Paar einige beeindruckende Kooperationen mit anderen Gestalter:innen eingegangen. Dazu gehören keine Geringeren als Dieter Rams und Ferdinand Kramer beziehungsweise dessen Witwe Lore. Sowohl der Chefdesigner von Braun als auch der Frankfurter Architekt hatten in den 1960er-Jahren Handtaschen für ihre Ehefrauen entworfen, die jedoch nie über das Prototypenstadium hinausgekommen waren. Ein halbes Jahrhundert musste verstreichen, bis Esther und Dimitrios Tsatsas sich der Sache annahmen und die Entwürfe zum Leben erweckten. Die Modelle „Kramer“ und „931“ sind heute fester Bestandteil im Portfolio. 2020 wurde auch David Chipperfield auf das Designerpaar aufmerksam. Aus der Zusammenarbeit mit dem britischen Architekten ist seither eine ganze Kollektion entstanden. „Aktuell arbeiten wir wieder an einer Kooperation mit einem tollen Designer”, verrät uns Esther zum Abschied. „Besonders aufregend ist für uns, dass wir dabei erstmalig das Terrain der Taschen verlassen.”