Im Grunde reicht es, ihn auf seiner Violine spielen zu hören, um in Bewunderung zu verfallen. Lauscht man dann aber auch noch seinen Erzählungen, wird klar, dass Ara Malikian nicht nur ein Ausnahmemusiker ist, sondern einer jener Menschen, die aus der Achtsamkeit und Demut, welche ihnen das Schicksal beschert hat, eine wunderbare Botschaft ableiten: dass wir alle gleich sind im Streben nach Glück, Liebe, Frieden und Freiheit. Und dass die Musik phantastische Möglichkeiten bietet, dies zu verdeutlichen.
Wir treffen Ara während eines Tour-Stopps in Frankfurt. Am Vorabend hat er ein Konzert in Hamburg gegeben, heute ist die Hugenottenhalle in Neu-Isenburg seine Bühne. In Spanien, wo er lebt, füllt er längst Stadien. Deutschland muss er noch erobern. „Dabei arbeite ich daran schon länger“, lacht er und deutet darauf hin, dass seine Karriere im Grunde hier angefangen hat. Anfang der 1980er Jahre in Hannover.
The refugee
„Damals bekam ich ein Stipendium für die Musikhochschule in Hannover. In meiner Heimatwütete der Bürgerkrieg, und meine Eltern waren froh, mich auf diese Weise an einen sicheren Ort schicken zu können.“ 15 Jahre alt war Ara Malikian, Sohn armenischer Eltern, der bis dahin im Libanon gelebt hatte, als er herkam. Ein Kind. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft. „Klingt wie die Geschichte so vieler Geflüchteter heute, nicht wahr?“ Ja und nein. Angst und Ungewissheit, so ganz ohne die Eltern in einem fremden Land… Doch Ara hat das Glück, ein talentierter Violinist zu sein. Man möchte ihn fördern. Er ist willkommen. Und so meistert er auch eine weitere Hürde: Das Geld für das Stipendium kann ihm nicht ausbezahlt werden, weil er noch nicht volljährig ist. „Da traf ich eine Dame aus der jüdischen Gemeinde, die wollte, dass ich auf der Hochzeit ihrer Tochter spiele. Das einzige Wort, das ich auf Deutsch kannte, war ‚ja‘. Und so begann meine Klezmer-Karriere. Ab dann spielte ich auf allen möglichen jüdischen Festen. Niemand ahnte, dass ich kein Jude bin. Und ich? Ich musste Geld verdienen. Und ich wusste ohnehin nicht genau, was ein Jude ist. Ich hatte gelernt, dass wir Feinde sind. Aber die Musik hat mir den richtigen Weg gezeigt.“
Ich bin der, der ich bin, weil ich das Glück hatte, verschiedenste Kulturen kennenzulernen.
The traveller
Bis heute sind Klezmer-Klänge ein fester Bestandteil von Aras Repertoire. Leidenschaftlich, ungezügelt, hingebungsvoll spielt der Geiger mit der wilden Mähne sich genreübergreifend durch die Konzertsäle von über 40 Ländern weltweit, spielt Klassik und Modernes, bekannte Melodien und eigene Kompositionen, spielt orientalische Klänge, jüdische Folklore, argentinischen Tango und spanischen Flamenco, spielt sich in die Herzen der Menschen. Und dabei offenbart er ihnen das „friedensstiftende Potential der Musik“, wie er sagt. „Dafür gibt es immer wieder Beispiele. Etwa Johann Sebastian Bach vor über 300 Jahren: Er hatte die Möglichkeit zu reisen, andere Arten des Komponierens und Musizierens auf seinen Reisen nach Frankreich und Italien zu entdecken und diese Erkenntnisse in sein Werk zu integrieren. Das Zusammentreffen verschiedener Kulturen ist eine Bereicherung, keine Bedrohung, wie viele Populisten uns heutzutage glauben machen wollen. Wer nicht reisen kann, der kann sich doch mit jenen austauschen, die von woanders her etwas mitbringen. Ich hoffe sehr, dass irgendwann alle diese einfache Formel verstehen werden. Ich jedenfalls bin der, der ich bin, weil ich das Glück hatte, verschiedenste Kulturen kennenzulernen. Und ich lerne immer weiter.“
El Español
Sein Deutsch ist keineswegs „total eingerostet“, er spricht noch erstaunlich fließend. „Mit Deutschland verbinde ich viele schöne Erinnerungen und kostbare Begegnungen“, sagt er. Hier habe er Menschen getroffen, die ihm das Gefühl gegeben haben, willkommen zu sein. Angekommen ist er dann allerdings vor etwa 20 Jahren in Madrid, „das war reiner Zufall, aber auch Liebe auf den ersten Blick.“. Und so mag seine Heimat die Welt sein, sein Zuhause ist die spanische Kapitale, wo er zurzeit noch im Szene-Viertel Malasaña lebt, bald aber ein ruhigeres Quartier beziehen wird. Der Familie wegen. Sein kleiner Sohn ist sein Ein und Alles. Ihm widmet er seine gesamte freie Zeit. Und wünscht sich, dass es allen Familien auf der Welt vergönnt sein mag, nicht durch Armut, Krieg und Vertreibung auseinandergerissen zu werden. Wir hoffen mit ihm. Und freuen uns über diese Begegnung mit Ara Malikian, Flüchtling, Grenzübertreter, Weltentdecker, der auf seiner Suche nach Frieden das Glück fand und dieses nun in seiner Musik mit allen teilt.