Dr. Christina Leber leitet eine der größten und wichtigsten Sammlungen künstlerischer Fotografie in Deutschland, die im nächsten Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Als die DZ Bank in Frankfurt begann, Fotografie zu sammeln, war das mutig, sagt sie. THE FRANKFURTER traf die Enthusiastin im französischen Steakrestaurant Le Petit Royal im Boutique-Hotel Ameron Frankfurt Neckarvillen zum Gespräch über Courage und notwendige Passagen.
„I AM YOUR VOICE“, die Leuchtschrift der feministischen Konzeptkünstlerin Claire Fontaine ist Teil der Ausstattung des Hotelrestaurants mit hochkarätiger Kunst. Fast meint man, in eine gemütliche Galerie einzutreten. Man speist hier umgeben von Originalskizzen von Yves Saint Laurent, Glaskunst von Paul Hance und einer textilen Skulptur der deutschen Künstlerin Cosima von Bonin. Nicht zu vergessen, die bildhübschen antiken Ikora-Tischleuchten oder nebenan in der French Bento Bar die Licht-Installation von Tobias Rehberger. Kurzum, das perfekte Setting für den Lunch mit einer ausgewiesenen Kunstkennerin wie Christina Leber. Sie kommt auf die Minute. Eine klare, angenehme Stimme, wissende Augen und, wie immer wenn man sie im Job sieht, in den dunklen Farben der Kunst- und Bankenwelt gekleidet. In den nächsten zwei Stunden wird sie mit verblüffender Offenheit erzählen, was sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist.
Sie kommt auf die Minute. Eine klare, angenehme Stimme, wissende Augen und, wie immer wenn man sie im Job sieht, in den dunklen Farben der Kunst- und Bankenwelt gekleidet. In den nächsten zwei Stunden wird sie mit verblüffender Offenheit erzählen, was sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist.
10.000 WAYS TO SEE THE WORLD
Mein Sohn und ich lieben Austern“, schwärmt sie mit Blick auf die Vorspeise. In Restaurants ginge sie eher selten, gibt sie zu - zu oft werde man „enttäuscht, da wir zuhause so gut kochen“. Das Le Petit Royal enttäuscht uns nicht, das Menü ist fabelhaft, gekrönt von butterzarten Kobe-Rind-Filets und einem Petersilien-Risotto. Christina Leber hat ihren heute zwanzigjährigen Sohn allein großgezogen, die gute Bindung der beiden klingt oft an. Ich will mehr über ihre Herkunftsfamilie wissen, behutsam graben nach den Wurzeln ihrer Kunstleidenschaft.
Doch erst sind die Früchte dran, ihr langjähriges Wirken für eine der renommiertesten Unternehmenssammlungen Deutschlands. Die Kunstsammlung der DZ Bank umfasst heute rund 10.000 Kunstwerke von über 950 internationalen Künstler:innen, der Schwerpunkt liegt auf fotografischen Ausdrucksformen von 1933 bis zur Gegenwart. 2021 wurde die Sammlung in die Obhut einer eigens gegründeten Stiftung gegeben. „Ein großes Glück“, sagt Christina Leber, denn so sei unter anderem die Beantragung öffentlicher Gelder für das Vermittlungsprogramm möglich. Die Aktivitäten sind vielfältig, von Ausstellungen und kostenfreien Vermittlungsangeboten für Kinder über pädagogische Fortbildungen für Lehrkräfte bis hin zu Förderstipendien. Man unterstützt das Städel Museum und pflegt mit anderen Kulturinstitutionen langjährige Kooperationen. „Die wollen ja nur Dekoration, mit diesem Vorurteil haben Unternehmenssammlungen immer noch zu kämpfen. Mir imponierte von Beginn an, dass die DZ Bank sich sehr klar überlegt hat, was sie sammelt, auch dass es immer eine professionelle Leitung gab, die sich mit den Vorständen und Führungskräften auf gleicher Augenhöhe abgestimmt hat. Das hat der Sammlung gutgetan.“
PASSAGES
Die hochwertige Kontinuität und das öffentliche Sichtbarmachen der Sammlung sind maßgeblich der Verdienst von Christina Leber. Sie erzählt von der aktuellen Ausstellung „Passagen“, die Prozesse des Übergangs thematisiert, und von einem Mitarbeiter:innen-Kunstprojekt, bei dem zum Beispiel die Fotografin Loredana Nemes Banker zeigt, die ihre Sakkos falsch herum über den Kopf tragen, die Innenhaut wird gleichsam zur Außenhaut und die Persönlichkeiten werden sichtbar. „Die DZ Bank hat sich schon früh und mutig entschieden, künstlerische Fotografie zu sammeln, das hat sich als sehr zukunftsweisend erwiesen.
Damals war es das erste Unternehmen, das Fotografie sammelte, und es gab nur die analoge Fotografie. Heute gibt es neben der digitalen und postdigitalen Fotografie auch zahlreiche Crossovers. Die Fotografie ist dadurch ein Material, das sich enorm weiterentwickelt hat. Nikon und Canon haben gerade bekanntgegeben, dass sie die digitale Spiegelreflexkamera einstellen, das heißt, es wird künftig nur noch Systemkameras geben. Dadurch, dass Fotos heute so viel in den neuen Medien verwendet werden und die Bilder oft wenig mit der Realität zu tun haben, ist es uns wichtig, dass Fotografie an sich in Frage gestellt wird. Es gibt inzwischen viele Künstler:innen, die gar nicht mehr selbst fotografieren, sondern vorgefundene Fotografien für ihre Kunstwerke heranziehen. Deswegen nehmen wir auch keine reinen Fotograf:innen in die Sammlung mehr auf.“
SILENCE
Das Jubiläum wird nicht mit Pauken und Trompeten gefeiert, es wird drei Ausstellungen in der Kunststiftung und eine in der Stiftung Kunstform der Berliner Volksbank geben. Aber auch eine Kooperation mit „Kunst im Tunnel“ (KIT) in Düsseldorf. „Heute entwickelt sich die Sammlung langsam weiter. Mit den Ideen des Teams versuchen wir, aktuelle Themen aus der Sammlung zu entwickeln, wie etwa auch die Ausstellung ‚Passagen‘“, erklärt die Leiterin. Entwicklung ist das Stichwort. Die Mutter ist gebürtige Potsdamerin, der im vergangenen Jahr verstorbene Vater kam aus Frankfurt und machte Karriere als Chemiker. Es sind Kriegskinder. „Vater war sehr philosophisch geprägt und Fan von Thomas von Aquin, er stammte aus einer Bauernfamilie in Flörsheim. Der Vater meiner Mutter war Ingenieur bei AEG in Berlin. Sie kommt aus einer sehr katholischen Familie, das sechste von acht Kindern. Die Mutter ist gebürtige Potsdamerin, der im vergangenen Jahr verstorbene Vater kam aus Frankfurt und machte Karriere als Chemiker. Es sind Kriegskinder. „Vater war sehr philosophisch geprägt und Fan von Thomas von Aquin, er stammte aus einer Bauernfamilie in Flörsheim. Der Vater meiner Mutter war Ingenieur bei AEG in Berlin. Sie kommt aus einer sehr katholischen Familie, das sechste von acht Kindern.
Dass sich die DZ Bank vor 30 Jahren entschied, Fotografie zu sammeln, hat sich als sehr zukunftweisend erwiesen. Dr. Christina Leber
Der Glaube war bei uns sehr wichtig.“ Ihre prägendste Erfahrung: „Als junges Mädchen dachte ich, es länge an mir, dass meine Mutter nicht redete, was aber nicht stimmte. Es waren die Kriegserfahrungen, die sie nicht sprechen ließen. Ich war Legasthenikerin, und das so gravierend, dass ich erst mit 22 Jahren Abitur machte. Heute denke ich, mit meiner Erfahrung als ausgebildete Systemikerin, dass dem eine psychologische Ursache zugrunde lag, denn in einer anderen Sprache als meiner Muttersprache war die Legasthenie wie weggeblasen. Das erinnert mich an den Roman ‚Die Erfindung des Lebens‘ von Hanns Josef Ortheil, darin wird eine ähnliche Geschichte geschildert. Wie der Romanheld habe ich mich selbst auf den Weg gemacht. Ich wollte verstehen. Heute sind meine Texte mein Ausdrucksmittel.“
PARTICIPATION
Ihre Sprache ist nicht nur in Texten präzise. Im Gespräch kommt eine empathische Offenheit hinzu, wertschätzend und interessiert am Gegenüber. So sprechen wir etwa über die „Giraffensprache“ von Marshall Rosenberg, dem Erfinder der gewaltfreien Kommunikation. „Diese ‚Sprache‘ habe ich mit meinem Sohn, damals neun, geübt. In der Folge hat er mich sehr oft korrigiert. Er hat sie unmittelbar verstanden. Kinder suchen Erfahrungen, sind neugierig. Als er sechs war, bat er mich darum, ihm eine Schule zu suchen, in der das Fach ‚Erfindungen‘ unterrichtet würde. Tatsächlich gibt es so eine in Leipzig. Wir brauchen Schulen, die Erfahrungen lehren und Begabungen fördern.“ Dann kommt sie noch auf die Corona-Krise zu sprechen, auch sie sei eine Passage gewesen, und die Hoffnung vieler, alles wäre danach wieder beim Alten, habe sich zerschlagen. Jetzt ginge es um Krieg und die globale Erwärmung. „Ich hoffe, ich bleibe in Zukunft als diejenige in Erinnerung, die die Kunstsammlung in die Welt und zu den Menschen getragen hat und sie so nahbar machte. Für mich war Kunst eine Teilhabe an der Welt, weil ich nicht lesen konnte. Das prägte mich.“