THE PAPER DANCER

„Manchmal fühlt es sich an wie ein sanfter Tanz, ein anderes Mal verschlingt es mich fast.“ Wenn Papierkünstlerin Marit Roland ihre monumentalen Installationen entwirft, ist ganzer Körpereinsatz gefragt. Aktuell sind ihre Arbeiten in der Kunsthalle des berühmten schwedischen Skulpturenparks Wanås Konst zu sehen. Im Interview mit THE FRANKFURTER erklärt sie ihre vergänglichen „Paper Drawings“. Zerknittert, verdreht und gefaltet, um Schatten und Linien zu erzeugen. Die Papierkreationen von Marit Roland füllen oft ganze Räume. Die Kunst der Norwegerin ist auf ungewöhnliche Weise wunderschön und regt zum Nachdenken über Sein und Werden an.

Hallo Marit Roland, was fasziniert Sie an Papier?

„Papier ist ein sehr vielfältiges Material, es kann auf so viele Arten geformt werden. Ich finde auch, dass es sehr demokratisch ist, man braucht nicht viel Geld, um Papier zu kaufen, und Papier gibt es in allen Qualitäten. Die Art des Papiers, das ich verwende, ist unterschiedlich, aber es ist nie teuer und meist von minderer Qualität. Ich benutze ein Messer, einen Hefter, Klebeband und ein Seil. Das sind meine einzigen Werkzeuge.

Während meines letzten Jahres als Meisterschülerin an der Kunstakademie in Trondheim wollte ich unbedingt aus mei­ner klassischen figurativen Arbeitsweise ausbrechen und experimentierte mit großformatigen, abstrakten und performativen Zeichnungen. Ich wollte weiter zeichnen, aber ich wusste nicht, wie. Als ich bei einem meiner Experimen­te ein großes Blatt Papier, das ich an die Wand meines Ate­liers geheftet hatte, abmontierte, löste ich eine Nadel nach der anderen, so dass das Papier langsam zu Boden fiel. Als schließlich nur noch eine Stecknadel das ganze Blatt hielt, sah ich plötzlich, wie das Papier selbst eine Linie auf der riesigen leeren Wand bildete. Meine Zeichnung hatte sich plötzlich von einem zweidimensionalen Format in ei­ne dreidimensionale Form verwandelt. Das Material, das ich zuvor als praktische Notwendigkeit betrachtet hatte, bekam plötzlich einen eigenen Wert. Für mich war es eine Zeichnung, die ihre eigene Form annahm, und die Serie der ‚Paper Drawings‘ war geboren. Ich hatte eine neue Art des Zeichnens gefunden, die ich vorher nicht kannte.“

Konzeptionell bin ich daran interessiert, die Grenzen des­sen, was Zeichnung ist und sein kann, zu erweitern. Außer­dem geht es mir um das Flüchtige und Fragile. Man sagt, dass Energie niemals verschwindet, sondern nur ihre Form ändert. Genauso verhält es sich mit meinem Papier. Es dient nur für eine kurze Zeit der Kunst, dann wird es recy­celt und einem neuen Zweck zugeführt.“

Wie entwickeln Sie Ihre "Paper Drawings"?

„Wie gesagt, ich bin neugierig darauf, Grenzen zu über­schreiten, Wahrheiten zu erfahren und Erfahrungen zu ma­chen, über die ich keine vollständige Kontrolle habe. Meine fortlaufende Serie ‚Paper Drawings‘ ist eine Erweiterung meiner bisherigen klassischen Zeichenpraxis und durch sie erforsche und hinterfrage ich das Konzept der Zeichnung. Während ich früher einen traditionellen Ansatz verfolgte, arbeite ich jetzt mit der Zeichnung als Konzept und Denk­weise und nicht mehr mit einer bestimmten Technik. Durch die Verschiebung des Papiers im Akt des Zeichnens be­trachte ich meine Arbeiten als abstrakte, ortsspezifische, prozessuale, skulpturale Zeichnungen.

Ich schaffe alle meine Arbeiten vor Ort und stelle einen in­neren Dialog mit dem Ausstellungsraum und mir selbst her. Es variiert, welche Details oder Eindrücke ich aufgreife. Die Art und Weise, wie ich arbeite, ist sehr intuitiv und steht oft über den Worten. Ich habe auch Phasen, in denen ich zum Beispiel nur mit weißem Papier oder der Farbe Rosa arbeite. Mein Schaffensprozess variiert von sanften Berüh­rungen bis hin zum Kampf mit dem Papier. Manchmal fühlt es sich an wie ein sanfter Tanz, ein anderes Mal verschlingt es mich fast. In jedem Fall bin ich nach der Erstellung einer neuen ‚Papierzeichnung‘ völlig erschöpft. Um meinen Aus­druck richtig hinzubekommen, muss ich sehr konzentriert sein, sowohl körperlich als auch geistig.“

Sie zerstören Ihre Werke anschließend, warum?

„Ich gebe dem Papier ein ‚neues Leben‘, nachdem es sei­nen Zweck, Kunst zu sein, erfüllt hat. Indem ich meine ‚Pa­per Drawings‘ zerstöre und dafür sorge, dass sie recycelt werden, können sie weiterleben und zu etwas anderem werden. Wenn ich etwas aufgebe, dem ich mich mit ganzer Hingabe gewidmet habe, entsteht ein Gefühl der Ambiva­lenz. Wenn ich sehe, wie die Stücke verschwinden, erlebe ich auch ein starkes Gefühl der Freiheit, so zu arbeiten, wie ich es tue. Triviale Aspekte, wie die Tatsache, dass eine Pa­pierrolle erst so wertvoll und dann fast unbedeutend wer­den kann, faszinieren mich. Und nicht zuletzt vermeide ich es, noch mehr Dinge zu schaffen. Wir haben schon zu viel Zeug.“

Welche Botschaft wohnt dem inne?

„Wir Menschen sind stark und verletzlich zugleich, unser Leben ist kurz, aber auch sehr bedeutsam. Das gilt auch für ‚Paper Drawings‘. Wenn ich meine Installationen und Skulpturen schaffe, sind sie oft so körperlich anstrengend, dass ich völlig präsent sein muss. Das Publikum erfährt dies oft durch die Größe und die Details meiner Arbeiten, die es dazu bringen, innezuhalten und einen zweiten Blick darauf zu werfen. Wir leben oft in einem hohen Tempo und meine ‚Paper Drawings‘ bewirken sowohl bei mir als auch beim Publikum etwas, das uns dazu bringt, für einen Mo­ment innezuhalten und präsent zu sein. Wenn man weiß, dass ‚Paper Drawings‘ vergänglich und unverkäuflich sind, neigen die Leute dazu, meine Arbeit bewusster wahrzu­nehmen. Auch die Größe hat eine Wirkung auf mich und das Publikum. Wenn man einem Kunstwerk begegnet, das doppelt so groß ist wie man selbst, muss man seinen gan­zen Körper einsetzen, nicht nur die Augen, um das Werk zu erleben.“