THE CONNOISSEUR

Eleganter die Gläser nie klingen. THE FRANKFURTER bat Mikael Horstmann, Kurator am Deutschen Museum für Kochkunst und Tafelkultur in Frankfurt, zum stilvollen Tischgespräch ins Sternerestaurant Carmelo Greco. Ein Austausch über Manieren, das Dienen und esskulturelle Besonderheiten, die sich heute kaum ein Gourmet zu zeigen wagt.

Eben erst ist er mit dem Nachtzug aus Turin, seinem zweiten Wohnsitz, zurück nach Frankfurt geeilt. Der elegante Oldschool-Anzug, der Hut und gewählte Worte, die von Belesenheit zeugen. Mikael Horstmann erinnert mich an den Schauspieler und Musiker Ulrich Tukur, der ebenfalls ein Mann guter Manieren ist. Im Sternerestaurant Carmelo Greco will ich mit unserem Gast über die alte und neue Kunst des stilvollen Genusses sprechen. Und hoffe im Stillen, dass ich mich unter seinen Kenneraugen an alle Benimmregeln in der Königsklasse der Sternegastronomie halte. Küchenchef und Namensgeber des Sachsenhäuser Restaurants, Carmelo Greco, ein gebürtiger Sizilianer, räumt mit seinem Team regelmäßig einen Michelin-Stern ab – und seine Spitzenküche verdient Respekt, auch beim Umgang mit Messer, Gabel und Trinkgläsern.

ETIQUETTE WITHOUT THE ELITIST

Mikael Horstmann ist kein Oberlehrer, sondern einer, der Tischmanieren und Tafelgeschirr weit über die Jahrhunderte verorten kann und auch um deren Modernisierung weiß. Er will „der Etikette das Elitäre nehmen“, denn: „Es geht bei der Etikette nicht darum, sich durch ein bestimmtes Verhalten von anderen abzugrenzen, sondern dass man miteinander konfliktfrei umgeht. Es gibt drei Grundregeln: Nichts schmutzig machen, nichts kaputt machen, sich und andere nicht verletzen.“ Dieser Ursprung der Tisch-Etikette geht bei ihm mit einer Nonchalance einher, die sogar erlaubt, einen Suppenteller auszutrinken. Dazu später mehr. Wir starten mit einem Espresso Tonic, also Tonic Water mit Eis, über das man vorsichtig (es schäumt!) den Espresso ins Tumbler-Glas einlaufen lässt. Service-Juwel Antonio erfüllt uns diesen Wunsch und erkundigt sich höflich, wo man so etwas trinke. „In Turin“, bekommt er von unserem Gast zur Antwort.

Höflich kommt von höfisch. Ich bin nicht höflich, wo man nach oben katzbuckelt und nach unten tritt. Man muss allen Menschen gegenüber adäquat Manieren zeigen. Mikael Horstmann

KNIGGE IS LIKE A LANGUAGE

Nachdem Mikael Horstmann und seine Freundin, eine Medizinerin, über viele Jahre immer wieder die Region Piemont und deren Hauptstadt Turin besuchten, entschieden sie sich zum Kauf einer Wohnung in der für ihre hervorragende Küche bekannten Metropole. „Turin ist unsere absolute Lieblingsstadt – nach Frankfurt. Sie hat eine tolle Lebensqualität, nicht nur gastronomisch. Vieles ist zu Fuß erreichbar und die Leute sind entspannt“, schwärmt er. Wir stoßen an. Rand oder Bauch? „Wie man Schaumwein trinkt, ist eines meiner Lieblingsthemen. Es kommt darauf an, sage ich. Bei Tisch fasst man das Glas hoch am Stiel an, bei einer Stehparty ist es am Bauch sicherer. Trinkgläser sind in den letzten einhundert Jahren viel größer geworden, wodurch sich der Kipppunkt verändert hat. Knigge und Etikette sind wie eine Sprache permanent kleineren und größeren Änderungen ausgesetzt.“ Wir stoßen die Gläser am Bauch an und es klingt – ganz wie es sein muss – wie eine helle Glocke.

CURTAIN UP

Großmutter und Großvater des Frankfurters waren „zu Diensten“. Sie waren in der Hotellerie tätig. Im Grandhotel Frankfurter Hof zum Beispiel. „Bei ihnen zuhause habe ich Tischkultur als Alltag erlebt. Selbst mit einfachem Geschirr war ihr Tisch immer sorgfältig gedeckt. Und meine Großmutter legte Wert darauf, dass das ‚gute Geschirr‘ jeden Sonntag benutzt wurde. Bei Familienfeiern liebte ich es, der Mundschenk für die Gäste zu sein.“ Später als Schüler und Student der Angewandten Theaterwissenschaft jobbte er in Fünf-Sterne-Häusern, auch im Frankfurter Hof, ein Kreis schloss sich. “Die Gastronomie ähnelt dem Theater, es gibt drei Ebenen, auf denen die Inszenierung abläuft: Raum, Tisch, Teller. Es ist das schönste Mitmachtheater.“ Tischkultur ist ihm auch im eigenen Haushalt wichtig, betont er: „Meine Partnerin und ich essen immer mit Silberbesteck.“ So nutzen sie alte, teils geerbte Löffel („wo noch richtig Suppe drauf passt“) und Messer („die selbst nach Jahren des Gebrauchs noch scharf sind“).

CITY OF TEA & MARZIPAN

Über Jahre war Horstmann ehrenamtlicher Leiter des Deutschen Museums für Kochkunst und Tafelkultur. Da ihm zunehmend die Zeit fehlt, engagiert er sich weiter als Kurator. Das Nischenmuseum, 2015 eröffnet, mit Wurzeln, die bis ins Jahr 1909 zurückreichen, hat einen schweren Stand. „Die Stadt Frankfurt zeigt kein Interesse an dem Museum und so bekommt es auch keine Unterstützung. Alles basiert auf ehrenamtlicher Arbeit“, erklärt er. Dabei sind die Sammlungen durch Stiftungen und Geschenke reichhaltig, allein historische 50.000 Menü- und Speisenkarten gibt es. Außerdem unzählige wertvolle Kochbücher, historische Küchengeräte, Bestecke, Gläser und vieles mehr, was die Gepflogenheiten der Tischkultur vergangener Zeiten dokumentiert. Dass ausgerechnet in Frankfurt ein solcher Schatz beheimatet ist, hat gute Gründe: „Bereits im Mittelalter hatte man hier eine Kulinarik wie kaum eine andere. Es ist die Stadt mit der ältesten noch lebenden Marzipantradition, gut zwei Jahrhunderte vor Lübeck. Die Kochkunst wurde hochgehalten, durch die Messen und Köche, die aus Italien und Frankreich abgeworben wurden, um in Frankfurter Haushalten zu kochen. Das erste Teehaus im deutschsprachigen Raum im Jahr 1726 war in unserer Altstadt, ‚Tee Schmidt‘ in der Schnurgasse.“

INNER VALUES

Man könnte ihm stundenlang zuhören, er ist tief in die Historie eingetaucht und vermittelt diese auch bei Stadtführungen: „Was in Frankfurt am meisten geschlachtet wurde, waren Schafe. Sie lieferten Wolle, Fleisch, Milch und ‚mähten‘ die Streuobstwiesen.“ Dann, zwischen einem der fabelhaften Greco’schen Gänge, rückt Horstmann mit der Sprache heraus: Er habe schon selbst geschlachtet. „Wer das nicht einmal mindestens gemacht hat, sollte kein Fleisch essen. Schlachten, um ein Wertgefühl für das Fleisch zu bekommen.“ Dann legt er nach: Er mag Innereien. „Das ist Respekt. Warum nur die besten Teile verwenden und den Rest nicht? Ich war eine Weile in Wien und habe dort Lungenhaschee kennengelernt. Auch Hühnerherzen sind lecker.“

FAIRE CHABROT

Er empfiehlt, den „Knigge“ bewusst zu lesen: „In den Schriften des Freiherrn von Knigge geht es kaum um Tischregeln, sondern um das konfliktfreie Miteinander. Daher mein provokanter Satz: Als Knigge-Trainer muss man Demokrat sein. Denn im Mittelpunkt steht das Zwischenmenschliche und Gemeinschaftliche.“ Er schildert das ‚Lufttranchieren‘ der Hühner, das er nach vielem Üben beherrscht, vom Tranchieren überhaupt (früher gehörte dies zur Herren-Ausbildung in Adelskreisen) und einigem mehr. Der Kochkultur-Experte kann anschaulich erzählen und schickt - bevor es betulich wird - immer mal einen amüsanten (Schock-)moment rein. Wie das mit dem Teller austrinken (unter den Augen von Carmelo Greco, natürlich nur rein theoretisch). „Faire chabrot ist eine ländliche französische Art, das Essen einer Suppe zu beschließen, indem ein Teil des zur Suppe getrunkenen Weins zum Rest in den Teller geschüttet wird. Anschließend wird der Teller an die Lippen geführt und ausgetrunken. Bei einem Essen mit den Eltern meiner Partnerin bei uns zuhause war es soweit. Nach anfänglichem ‚Schock‘ ihrer Mutter, tranken wir alle so den Teller aus – und alle fanden es toll.“