THE NETWORKER

Der Kulturfonds Frankfurt RheinMain fördert in der Region Kulturprojekte mit nationaler und internationaler Ausstrahlung. Darüber hinaus bündelt die gemeinnützige Gesellschaft kulturelle Ressourcen und Kräfte. THE FRANKFURTER traf Geschäftsführerin Karin Wolff zum Interview in Darmstadt, wo die Netzwerkerin, die einst stellvertretende Ministerpräsidentin Hessens war, ihre Wurzeln hat.

In Darmstadt, zwischen Mathildenhöhe und Jugendstil-Hauptbahnhof, heißen die Darmstädter „Heiner“. Warum, kann keiner so richtig erklären. Jedenfalls waren „Heuner“ mit „u“ früher grobe Kerle aus der Darmstädter Altstadt mit einem ebenso groben, direkten Dialekt. Heute ist ein Heiner stolz, ein Heiner zu sein. Ich lenke mein Fahrzeug durch Darmstadts breite, autogerechte Wirtschaftswunderstraßen mit Ziel Schlachthof. Den historischen von 1893 gibt es nicht mehr, aber einige Klinkergebäude zeugen noch vom einst riesigen Industrieareal an der Frankfurter Straße. Halt vor dem „Olbrick“, wo ich die gebürtige Darmstädterin Karin Wolff zum Interview treffe. Aus der historischen Schlachthofgaststätte ist 2020 ein stylisches Casual Fine Dining-Restaurant geworden. Inzwischen eine hochgelobte Genuss-Perle der Stadt. Natürlich, beste Fleischgerichte gibt es hier auch, das hat an diesem Ort Tradition.

DISCOVERY DARMSTADT

„Es ist ein Sauvignon Blanc“, erkennt Karin Wolff richtig. „Ein Pfälzer Kaitui von Markus Schneider“, ergänzt der Service. Der schöne Wein begleitet uns geschmeidig zum zarten, sous-vide-gegarten Kalbsfilet und einer Surf & Turf-Paella.

Ich will mehr über den Mensch hinter den vielen Ämtern erfahren. Ihre freundliche, aber zurückhaltende Art weist sie aus, als Profi auf dem politischen Parkett. Karin Wolffs Büro ist in Bad Homburg, sie selbst lebt mit ihrer Ehepartnerin einige Kilometer hinter Darmstadt an der Bergstraße. Das heißt, täglich auf der Autobahn, täglich Termine, vor der Pandemie noch enger getaktet. Bei unserem Termin geht es nicht um geplante Förderungen von Kulturschaffenden oder Gremienarbeit, was sonst ihren Berufsalltag bestimmt. Es soll privater werden. Ihre Verbundenheit mit Darmstadt interessiert mich. Lieblingsorte hat Karin Wolff einige in der Heinerstadt, wie sie erzählt. Neben so bekannten Sehenswürdigkeiten wie dem Landesmuseum, der Rosenhöhe und der barocken Orangerie, sind es Orte, die man, wenn man von außerhalb kommt, weniger auf dem Radar hat: „Das alte Bessungen, praktisch der älteste Teil Darmstadts, und die ‚Waldspirale‘, ein von Friedensreich Hundertwasser entworfenes Haus. Sämtliche Fenster dieses von goldenen Zwiebeltürmen überragten Gebäudes mit 105 Appartements sind Unikate, keines gleicht dem anderen.“ In Bessungen ist übrigens auch die Galerie der wichtigen Schader-Stiftung, dessen Stiftungsrat sie angehört.

In Darmstadt ist sie zur Schule gegangen und hat später als Studienrätin an der Edith-Stein-Schule unterrichtet. „Wenn ich heute ehemalige Schüler treffe, sind oft die, die sich am wenigsten im Klassenraum benehmen konnten, selbst Lehrer geworden“, schmunzelt sie. An ihre eigene Schulzeit denkt sie mit gemischten Gefühlen zurück. „Nach der Mittelstufe blieb ich zwar pflichtbewusst, aber wenig begeistert“, erinnert sie sich. In der Grundschule habe der Sportunterricht aus Völkerball bestanden; „mehr machte unsere Lehrerin nicht mit uns“. Dass sich Eltern, Großeltern und auch Anwälte in Notenvergabe und anderes einmischten, sei damals nicht üblich gewesen. Später, in ihrer Zeit als Ministerin, schon. Die Zeiten hatten sich geändert.

BIG COMMUNITY

Die vergangenen zwei Jahre waren auch für die Kulturfonds Frankfurt RheinMain eine Herausforderung. Nicht nur geplante Ausstellungen mussten verschoben werden, viele Unsicherheiten standen im Raum. Kurz vor der Pandemie trat Karin Wolff ihr Amt als Geschäftsführerin an und sah sich sogleich einer nie dagewesenen Situation gegenüber. Da sie aufgrund ihrer politischen Ämter in der Vergangenheit alle Die vergangenen zwei Jahre waren auch für den Kulturfonds Frankfurt RheinMain eine Herausforderung. Nicht nur geplante Ausstellungen mussten verschoben werden, viele Unsicherheiten standen im Raum. Kurz vor der Pandemie trat Karin Wolff ihr Amt als Geschäftsführerin an und sah sich sogleich einer nie dagewesenen Situation gegenüber. Da sie aufgrund ihrer politischen Ämter in der Vergangenheit alle kommunalen Partner bereits kannte, entfiel ein zeit- und kontaktaufwendiges Warm-up. „Heute kann ich sagen, wir konnten die Kultur aufrechterhalten. Auch, dass alle Träger mit an Bord geblieben sind, sehe ich als Riesenergebnis.“ Mit Träger meint sie auch die Städte und Landkreise, die als Gesellschafter des Kulturfonds Frankfurt RheinMain beigetreten sind. Neue Träger dazuzugewinnen, ist Teil ihres Jobs. So ziert sich etwa der Landkreis Darmstadt-Dieburg noch. Harte Überzeugungsarbeit, da Gelder beim Träger abgerufen werden.

Notwendige Überzeugungsarbeit, da der engen Vernetzung und dem gemeinsamen Handeln von Museen und anderen Kulturinstitutionen die Zukunft gehört. „Im Bereich Film, Tanz und Fotografie läuft das bereits sehr gut“, weiß Wolff. Stärken will sie die Region darüber hinaus in der Sichtbarwerdung im Designbereich. „Wir unterstützen in diesem Jahr die Bewerbung von Frankfurt RheinMain beim Wettbewerb ‚World Design Capital 2026‘. Gewürdigt werden Städte und Regionen für ihren effektiven Einsatz von Design zur Förderung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Entwicklung. Wir sind gut im Rennen, denn wir haben dahingehend eine lange Tradition, angefangen von Gutenberg bis zu den heutigen Akteuren in Frankfurt, Offenbach und Darmstadt.“

CARPE DIEM

„Carpe Diem“, unter diesem Motto hat sich ein Freundeskreis zusammengefunden. „Wir diskutieren viel, genießen gutes Essen und machen auch mal einen Ausflug“, erzählt die 62-Jährige. „Lifestyle ist für mich eine Kombination von Dingen, die ein Lächeln ins Gesicht bringen. Und das möglichst nicht allein.“ Sie kocht gern Hausmannskost, vor allem Pasta, liest viel, liebt Italien, die Ostsee und Fuerteventura und spielt ab „Carpe Diem“, unter diesem Motto hat sich ein Freundeskreis zusammengefunden. „Wir diskutieren viel, genießen gutes Essen und machen auch mal einen Ausflug“, erzählt die 63-Jährige. „Lifestyle ist für mich eine Kombination von Dingen, die ein Lächeln ins Gesicht bringen. Und das möglichst nicht allein.“ Sie kocht gern, vor allem Pasta, liest viel, liebt Italien, die Ostsee und Fuerteventura und spielt ab und zu Klavier. Ihr Zuhause mag Karin Wolff als Hafen und Ruhepool. Ihre Schwester ist Pharmazeutin und fotografiert „professionell“, wie sie schwärmt. Hier findet sie auch die Zeit, um Themen, die sie interessieren, zu vertiefen. „Aktuell lese ich ein Buch der Mannheimer Professorin für Mittelalterliche Geschichte, Annette Kehnel, mit dem Titel ‚Wir konnten auch anders – eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit‘. Im Buch schildert die Autorin Beispiele aus der Vergangenheit für nachhaltiges Wirtschaften und Zusammenhalt. Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ja aus der Forstwirtschaft. Beispielsweise beschreibt sie die Geschichte des Teilens und der Kooperation. Klöster etwa, als Gemeinschaften mit jahrhundertealter Erfahrung in Sharing Economy. Auch Urban Gardening ist nichts Neues. Das finde ich ganz spannend. Vielleicht kann man die historische Erfahrung im Umgang mit Krisen und Herausforderungen als Ressource für die Gestaltung der Zukunft nutzen.“

Nachhaltigkeit ist eigentlich ein Begriff aus der Forstwissenschaft. Karin Wolff, Geschäftsführerin Kulturfonds Frankfurt RheinMain

BRIDGE OVER TROUBLED WATER

Wir sprechen über Simon & Garfunkel, während leise Beats neuesten Datums das „Olbrick“ klanglich temperieren. „In meiner Jugend war ich ein großer Fan des Duos. Als ich dann in Darmstadt unterrichtete, hörten meine Schüler diese Lieder. Ja, gibt es denn so was, fragte ich mich überrascht, dass verschiedene Generationen die gleichen Lieder mögen. Das war neu.“

Ich frage sie abschließend nach ihrem Glauben. Ihr kirchliches Engagement ist bekannt. Im vergangenen Jahr erhielt sie die Martin Niemöller-Medaille, die höchste Auszeichnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. „Ich bin kein großer Kirchgänger wie früher. Im Glauben tut es gut, nicht ‚Gott‘ spielen zu müssen, das heißt, über andere zu richten oder Allmachtsfantasien zu hegen, wie toll man alles bewerkstelligt hat. Doch das heißt nicht, dass man ausruhen soll. Man muss etwas tun, wenn man gefordert ist.“