Nachhaltigkeit – vor einigen Jahren noch ein Stichwort, das nice to have war – ist heute eine dringende Aufforderung an alle, nicht zuletzt an die Modebranche, die bei der Herstellung all der schönen Kleider so viel Schmutz produziert wie kaum eine andere Industrie weltweit. Fashion-Expertin Alessandra Frank spricht Klartext.
Die Modebranche hat ein dramatisches Nachhaltigkeitsproblem: 100 Milliarden Tonnen Kleider (oder 150 Trillionen Einzelstücke) werden jedes Jahr produziert, die Industrie ist für über eine Milliarde Tonnen CO2 oder 10 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen (also weit mehr als der gesamte Flugverkehr!) und für 20 Prozent der industriellen Wasserverschmutzung verantwortlich. Kunstfasern, aus denen viele der Kleidungsstücke hergestellt werden, belasten die Umwelt, weil sie als Mikroplastik in den Wasserkreislauf gelangen. Und selbst die Herstellung eines T-Shirts aus Baumwolle verbraucht 15.000 Liter Wasser pro Kilogramm. Gekauft werden heute fünf Mal mehr Kleidungsstücke als 1980 – die dann im Schnitt lediglich sieben Mal getragen werden und schnell im Müll landen.
Die Auswirkungen auf die Umwelt sind katastrophal. Es besteht kein Zweifel, dass sich die schöne Modebranche radikal ändern muss, will sie nicht eine der schmutzigsten Industrien auf diesem Planeten bleiben.
Das Problem ist inzwischen im öffentlichen Bewusstsein angekommen – doch trotz Zusicherungen vieler CEOs der größten Modelabels, in Zukunft nachhaltiger und fairer zu produzieren, haben die meisten Brands noch keine bedeutenden Schritte unternommen, um ihren CO2-Fussabdruck und die gewaltige Masse an produzierten Teilen zu reduzieren. Meistens blieb es bei strategischen Lippenbekenntnissen, um das Image der Marke zu verbessern.
THE RISE OF FAST FASHION
Die so genannte „Fast Fashion“ trägt einen bedeutenden Anteil an der Misere. In den späten 80erJahren begann der unvergleichliche Siegeszug dieses neuen Businessmodells. Ein Blick auf die USA verdeutlicht das Problem, das mit ihm einhergeht: Bis in die späten 70er-Jahre wurden mehr als 70 Prozent der Kleidungsstücke, die in den USA gekauft wurden, auch dort produziert. Die Arbeitsbedingungen und Löhne waren dank relativ strikter Gesetze einigermaßen fair.
Doch Ende der 80er-Jahre wurde in immer größeren Stückzahlen trendige und billige Kleidung in immer schnellerem Tempo hergestellt. Um die Preise so unfassbar niedrig zu halten, wie es ja auch heute noch bei Zara, H&M und Primark der Fall ist, suchten die Firmen nach radikalen Wegen, bei den Herstellungskosten einzusparen. Und nirgendwo ließ sich das effektiver bewerkstelligen, als in den Produktionsstätten der ärmsten Länder der Welt. Offshoring breitete sich überall in der Industrie aus – heutzutage produzieren vom Billigst-Anbieter C&A über Sportartikelhersteller wie Nike oder Adidas bis hin zu Luxuslabels wie Chanel alle einen Teil oder ihr gesamtes Sortiment in Billiglohnländern wie China oder Bangladesch.
UNCHECKED GROWTH
In den letzten 30 Jahren ist der globale Umsatz der Modeindustrie von 500 Milliarden auf gigantische 2,4 Billionen gewachsen. Die schier grenzenlose Nachfrage hat zu einer Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungsländern geführt – schlechte Bezahlung und kein ausreichender Arbeitsschutz sind der absolute Regelfall. Der Gebäudeeinsturz 2013 einer Modefabrik in Sabhar/Bangladesch, bei dem 1.135 Menschen getötet und 3.438 verletzt wurden, bleibt in schrecklicher Erinnerung.
Und schließlich ist die Modeindustrie, wie bereits erwähnt, eine der schmutzigsten Industrien weltweit, die nicht nur die Umwelt auf allen erdenklichen Ebenen verschmutzt, sondern auch für einen Abfallberg sorgt, der allein in Europa jährlich aus fast sechs Millionen und weltweit aus unglaublichen zwei Milliarden Tonnen weggeworfener Waren besteht.
PINEAPPLE & MUSHROOMS: RETHINKING THE INDUSTRY
Und doch findet – langsam, aber spürbar – ein Umdenken statt. Vordenker, Visionäre, Einzelhändler, Kreative, Investoren und Geschäftsleute arbeiten daran, die Industrie menschen- und umweltfreundlicher zu machen. Und auch wir alle scheinen unser Konsumverhalten allmählich zu überdenken – und sind gerade seit der Pandemie zunehmend daran interessiert, weniger zu konsumieren und mehr Wert auf umwelt- und sozialverantwortliche Labels zu legen.
Was können Modemarken also konkret tun? Es gibt einige Ansätze, die Modeindustrie nachhaltiger und damit umweltfreundlicher zu machen: Ein erstes Lösungskonzept ist die Einführung so genannter regenerativer Anbaumethoden. Dabei hat die Regeneration der Ökosysteme höchste Priorität. Die Qualität von Böden, Wasserkreisläufen, der Vegetation sowie die Produktivität bleiben erhalten, statt wie in der klassischen Landwirtschaft durch Ausbeutung kontinuierlich schlechter zu werden. Marken wie Patagonia und Eileen Fisher haben bereits angefangen, ihre Rohstoffe mit dieser Anbaumethode zu produzieren.
Inzwischen gibt es im Labor gezüchtete Seide, Leder aus Ananas und Pilzen.
Von innovativen Forschern werden außerdem klimaneutrale Materialien entwickelt: So stellt zum Beispiel die amerikanische Firma Air-Carbon ein thermoplastisches Material her, das Treibhausgase mit Luft kombiniert und damit erdölabhängiges Plastik ersetzen kann. Dieses Plastik wird in Form von Polyester und weiteren Stoffen zur Herstellung von Kleidern eingesetzt und ist nur sehr schwer abbaubar. Das Forschungsstudio Post Carbon Lab arbeitet daran, Stoffe mit Algen zu überziehen, die dann Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen und Sauerstoff produzieren. Weiterhin gibt es immer mehr Start-Ups, welche die kommerziell rentable und massenkompatible Herstellung biobasierter Materialien vorantreiben. Im Labor gezüchtete Seide, Leder aus Ananas, Pilzen oder Kakteen sind eine Alternative, die bereits von Marken wie H&M, Hugo Boss und Paul Smith verwendet werden. Die Firma Bolt Threads hat zum Beispiel ganz aktuell in Zusammenarbeit mit Stella McCartney für ihre Sommerkollektion 2022 eine Tasche konzipiert, die zu 100 Prozent aus Mylo, einem „Pilz-Leder“, hergestellt wurde. In Aussicht steht auch eine biobasierte, 100 Prozent abbaubare Alternative zu Polyester.
CLOSING THE CIRCLE
Teil des zirkulären Geschäftsmodells ist auch der Wiederverkauf gebrauchter Kleidung: Websites wie The RealReal, Vestiaire Collective oder die in Deutschland sehr erfolgreiche Plattform Vinted, auf denen man Second Hand Designer-Kleider, Taschen, Schuhe und Accessoires verkaufen und kaufen kann, erleben seit einiger Zeit einen Boom. Und selbst der Massen-Retailer Zalando hat ein „Preowned“ Angebot im Programm.
STOP BUYING!
Wie man sieht, gibt es also durchaus einige Ansätze, die Modeindustrie zu einem umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Business zu machen. Doch all diese Maßnahmen werden wenig bringen, wenn wir unseren Konsum nicht massiv einschränken. Solange wir kaufen, als ob es im wahrsten Sinn des Wortes kein Morgen gäbe, wird die Modeindustrie weiterhin produzieren. Und nachhaltige Fast Fashion gibt es nicht – nachhaltig wird es erst werden, wenn wirklich weniger konsumiert und damit produziert wird. Es liegt an uns, das der Modeindustrie zu zeigen. Wenn nicht gekauft wird, wird auch nicht produziert. Und wenn nicht – oder weniger – produziert wird, vermindern sich auch die massiven Probleme, die die Modeindustrie verursacht, auf ein Ausmaß, das die Zukunft des Planeten nicht weiter gefährdet. Wie wäre es also, beim nächsten Mal lieber etwas länger auf das eine, ganz besondere Stück zu sparen, um sich auch in Jahren noch daran freuen zu können? Ein bewussterer Konsum – darauf kann und muss in Zukunft jeder von uns achten.