STAGING NATURE

Mathias Kessler ist im Kleinwalsertal neben einem Skigebiet aufgewachsen. In seinem Werk hinterfragt er die Spannung zwischen Tourismus und idyllischer Natur. Hält die Natur noch, was die Werbung für sie verspricht? Jetzt hat der Künstler auch in Frankfurt ein Atelier.

Eisberge im Kühlschrank, ein mit Korallen überwucherter Schädel, surreale Illusionen, am Computer konstruiert. Mit Ernst und Humor setzt Mathias Kessler typische Darstellungsweisen von natürlichen Prozessen neu in Szene. Fotografie, Installation und Performance sind dabei seine Medien. Während der Österreicher bisher über zwei Jahrzehnte seinen Lebensmittelpunkt in Brooklyn/New York hatte, findet man ihn nun vermehrt wieder in seiner Heimat im Vorarlberg vor – und seit diesem Jahr besitzt er auch ein Studio in Frankfurt. Galeristin Heike Strelow sprach mit ihm über sein Werk und die Kritik am Begriff der Natur.

Mathias, seit langem beschäftigst du dich mit dem komplexen Verhältnis von Natur und Mensch. Dabei liegt dein Fokus auf der bildnerischen Aneignung und Repräsentation von Natur. Ist das für dich ein Weg, die ökologische Krise zu verstehen?

Mathias Kessler: „Mein Interesse an diesem Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Natur kommt aus meiner Biografie. Ich bin im Kleinwalsertal neben einem Skigebiet aufgewachsen. Durch das Miterleben des stetig wachsenden Tourismus wurde ich auch Zeuge des Verschwindens der Sprache und Kultur der Walser. Diese Spannung zwischen Tourismus und idyllischer Natur versuche ich, mit meinen Arbeiten zu hinterfragen. Dabei widme ich mich den Ideen des Kapitalismus. Ich nehme Sehnsucht und Träume, die wir über die Natur haben und in der Werbung präsentieren, auf und stelle sie der zersetzenden Realität des ständigen Wachstums und des wirtschaftlichen Scheiterns gegenüber.“

2007 hast du während einer arktischen Expedition deine nächtlichen Fotografien der Eisberge inszenieren können. Ist diese Arbeit nicht gesellschaftlich relevanter denn je?

„‘Staging Nature‘ ist für mich ein sehr zentrales Projekt, das zwei wichtige Bereiche für mich vereint. Zum einem spielt es mit dem romantischen Bild, das wir von der Natur haben – eine Phantasie aus dem 18. Jahrhundert, die durch die Werbung in unser Unterbewusstsein eingebrannt wurde. Zum anderen ist es ein performativer Akt, bei dem Berge fernab von urbanen Zentren beleuchtet werden. Die Beleuchtung von Eisbergen in der Nacht ist die Schaffung einer Bühne, auf der die Natur der Schauspieler ist. Die dabei entstandenen Fotografien, Installationen und Filme sind eine Dokumentation dieses Eingriffs in die erhabene Landschaft. Sie sind in ihrer Einzigartigkeit, in ihrem Zeitgeist eine Zäsur, die nicht mehr rückgängig zu machen ist.“

Du beschäftigst dich auch immer wieder mit der Aneignung der Natur durch die europäischen Maler der Moderne. Interessiert dich dabei die Ambivalenz, die dieser Aneignung zugrunde liegt?

„Im 19. und 20. Jahrhundert, in denen die Institutionen unserer modernen Gesellschaft geschaffen wurden, liegen die Antworten für unser Jahrhundert. Die Industrialisierung und der wissenschaftliche Fortschritt haben neue Parameter geschaffen: Die Bilder von Gauguin lockten mit idyllischer Natur sowie Menschen, die vom Fortschritt unberührt zu sein schienen. Die Moderne eröffnete uns die Schönheit der Natur. Durch die Erleichterung der Transportmöglichkeiten war die Ferne mit einem Mal in die Nähe gerückt. Das Fremde wurde plötzlich begehrt. In Wahrheit geht es wieder um neue Verkaufsstrategien, die mit der Angst und mit dem Versprechen auf eine bessere Zukunft an uns herangetragen werden.“

Das Fremde wurde plötzlich begehrt. Mathias Kessler, Künstler

Deine jüngste Arbeit ist der Kurzfilm „Das Resort“, der zurzeit in Europa und den USA auf international bekannten Festivals erfolgreich gezeigt wird. Ab Ende März wird er in deiner Einzelausstellung in Frankfurt gezeigt. Was erwartet uns?

„Der Film entstand während der Covid-Lockdowns, in denen ich zum ersten Mal in meinem Leben erlebt habe, dass unser Skigebiet geschlossen war. Es war Stille und es kam auch eine gewisse innere Erstarrung. Man hörte die Tiere, die man sonst im Lärm des Skibetriebs und der Schneemaschinen nicht hören konnte. Es war eine Erfahrung, die sehr tiefgehend war. Ich habe dann mit Ron Kanecke und Chiara Juriatti ein Drehbuch geschrieben, in dem ein kleiner Junge in einem verlassenen Skigebiet aufwacht. Der Protagonist ist auf der Suche nach seinem Vater. Die gewaltigen Bilder leerer Skigebiete im Kleinwalsertal und Lech werden von drei Stimmen erzählt, nichtlinear. Die Stimmen scheinen ihre Sorgen und Erinnerungen immer wieder ohne sichtbare zeitliche Zuordnung zu äußern. Hier, wie in den meisten meiner Projekte, ist die stillgelegte Infrastruktur der Lifte und Seilbahnen der Hauptdarsteller. Man sieht Fragmente von Menschen, eine Art Collage, in der die Akteure kurz ins Bild kommen und wieder verschwinden.“