Die 1586 gegründete Kristallglasmanufaktur Saint-Louis gilt als „Europas gläsernes Herz“. In der berühmten französischen Manufaktur, einer der ältesten ihrer Art, entsteht in Handarbeit Kristallglas von höchster Qualität und Eleganz. THE FRANKFURTER blickte hinter die Kulissen des Ortes, an dem Klassiker und zeitgenössische Entwürfe das Licht der Welt erblicken.
Orangerot und geheimnisvoll wie in einem Grimm’schen Märchen glühen die Öfen. Die an einer Stange, der Glasmacherpfeife, dem Feuer entnommene Kugel gibt sich der jahrhundertealten Choreografie dieses Handwerks hin. Durch den Atem des Glasbläsers wird die glühende Wunderkugel ganz langsam lebendig, weitet, streckt sich und nimmt Gestalt an. Die Romanze zwischen den Elementen Feuer und Sand – unabdingbar bei der Glasherstellung – kommt zum Höhepunkt. Wenn die Form vollendet und abgekühlt ist, beginnen Schleifer:innen und Graveur:innen ihre Arbeit. Kristallglas verlangt Demut, sagen die Meister:innen ihres Fachs. Ein winziger Fehler und alles wäre verdorben.
CHARISMATIC CRYSTAL GLASS
Wir sind in die historische Montanregion Lothringen gefahren, um in den Werkstätten der Luxusmarke Saint-Louis zu erleben, wie dem Kristallglas sein vielgerühmtes Charisma eingehaucht wird. Saint-Louis-lès-Bitche heißt unser Ziel, ein kleiner Ort mit großer Ausstrahlung. Im Tal, umgeben von Laubwäldern, arbeiten einige der besten Handwerker:innen Frankreichs („Meilleurs Ouvriers de France“). Heute gibt es in der Region kaum jemanden, der nicht bei der Kristallglasmanufaktur Saint-Louis angestellt ist.
Seit Jahrhunderten ist der Ruf der Glasbläser:innen und Kristallmanufakturen, die zwischen dem Elsass und Lothringen liegen, ein geradezu euphorischer. Herrscherhäuser und Eliten wussten, die prächtigsten Tafelgläser und schönsten Kronleuchter kommen von dort. Unangefochtener Star unter den Herstellern ist noch immer die Kristallmanufaktur Saint-Louis, wo graziles Kristallglas ganz besonders aufwendig und kunstvoll verziert wird. Reiche geometrische Dekore und die Diamantgravur sind Erkennungszeichen des Hauses.
Im Firmennamen verewigt ist das durch König Louis XV. in 1767 erlassene Privileg, die Glashütte unter dem Titel „Königliche Glaserei“ zu führen. 1781 gelang der Manufaktur, als erste auf dem europäischen Festland, die Herstellung von Bleikristall. Zuvor hatte England das Monopol darauf besessen und die Manufaktur Saint-Louis nur besonders klares Glas hergestellt. Doch nach Jahren der vergeblichen Versuche, lösten sie das Geheimnis um Kristall. Die Stile des 18. und 19. Jahrhunderts, französischer Jugendstil und Art Déco – Saint-Louis steuerte durch alle Epochen hochwertigste Tisch- und Dekorationsobjekte bei. Die derzeit rund 200 Kunsthandwerker:innen des Unternehmens verjüngen zusammen mit Designer:innen die typischen Serien und erfinden neue. Gepflegt wird das Erbe der Briefbeschwerer. Kleine Kunstwerke aus Kristall und Glas, innen mit bunten, gedrehten Glasfäden und Millefiori-Blüten, die als hochbegehrte Sammlerstücke gehandelt werden. Schönheiten aus dem 19. Jahrhundert sind bei Auktionen gefragt. Saint-Louis beherrscht als letzte Kristallglasmanufaktur das originale Herstellungsverfahren.
LA GRANDE PLACE
Unser Besuch beginnt in der Maison aus dem 19. Jahrhundert, dem aufwendig renovierten, ehemaligen Direktorenwohnhaus der Kristallglasmanufaktur, das alte Herz des Kristallglas-Dorfes. Jedes Zimmer ist einer der Kollektionen von Saint-Louis gewidmet. Im stilvollen Foyer mit schwarz-weiß gewürfeltem Steinboden begrüßt uns Saint-Louis CEO Jérôme de Lavergnolle und führt uns, ganz in seinem Element, durch die Ausstellung. In der Schauwerkstatt erleben wir die einzelnen Arbeitsschritte – von der Schmelze bis hin zum abschließenden Schleifen, Gravieren und Vergolden. Gekrönt von den berühmten Kristalllüstern der Manufaktur, darunter auch der größte, der je hergestellt wurde, wird den berühmten Klassikern im firmeneigenen Kristallglasmuseum „La Grande Place“ viel Raum gegeben. Eindrucksvoll etwa die Glasserie „Thistle Gold“ von 1913, die mit ihrem Distel-Motiv auf Goldgrund zu den Höhepunkten des französischen Jugendstils gehört und bis heute ein gesuchtes Cristallerie-Objekt ist. Ihr Dekor aus feinstem Gold wird mit einem zarten Pinsel aufgetragen, anschließend gebrannt und mit Achatstein poliert. In einem anderen Raum werden uns Joseph Bleichners Cocktailgläser „Tommy“ von 1928 vorgestellt, die, so sagen Kenner:innen, durch ihre perlende Gravur das Prickeln auf der Zunge vorwegnehmen, noch bevor die Olive in den Martini fällt.
Jérôme de Lavergnolle zeigt uns die zeitgenössischen Editionen für Tisch und Interieur, die mit namhaften Designer:innen in den vergangenen Jahren realisiert wurden. Darunter die modernen Serien „Twist“ und „Folia“. Träumt man von einem klassischen Kronleuchter, sollte man sich die Serien „Arlequin“ und „Royal“ näher anschauen. Hier lebt der pompöse Glanz vergangener Zeiten wieder auf. Sind diese Kostbarkeiten nicht mehr Kunstobjekt als Gebrauchsgegenstand, fragen wir. Mitnichten. „Schön und einzigartig, aber immer dem Gebrauch verpflichtet“, fasst Monsieur de Lavergnolle das Credo seines Hauses zusammen.
SAINT-LOUIS IN FRANKFURT
In jedem handwerklichen Stück lebt der Erschaffer, die Erschafferin, weiter. Bei mundgeblasenem Glas gilt dieses Wissen umso mehr. Denn anders als bei Holz oder Metall hat handgeschliffenes Kristallglas diese Aura des Sphärischen. Aus Feuer geboren, potenziert es durch seine Form und hochkomplizierte Gravur natürliches und künstliches Licht um ein Vielfaches. In den Werkstätten erleben wir in nächster Nähe zu den Brennöfen die Wandlung des Werkstoffs und sind erstaunt, wie viele zeitaufwendige Arbeitsschritte selbst bei den einfacheren Trinkgläsern notwendig sind, um die gewünschte Qualität zu erreichen. Manche Gläser benötigen zehn Tage und beschäftigen in dieser Zeit zehn Glasbläser:innen für die Form und fünf Glasschleifer:innen für den Schliff.
„Die Kunsthandwerker:innen vor Ort zu beobachten, ist immer wieder aufs Neue eindrucksvoll“, erzählt Peter —Schamberger bei dem Dinner an festlich gedecktem Tisch in der Maison. Es ist das Finale unseres Besuchs in der Manufaktur. Wir freuen uns, erleben zu dürfen, wie familiär und behaglich es in diesem Unternehmen zugeht, nachdem Peter Schamberger schon im Vorfeld so sehr davon geschwärmt hatte. „Ich habe die Manufaktur bereits einige Male besucht und fühlte mich jedes Mal sehr wohl und umsorgt,“ erzählt der Frankfurter Luxusmarkenexperte, dessen Store und Showroom „À Table – Manufakturen für Genießer“ in der Kaiserhofstraße alle Kollektionen von Saint-Louis führt. Er ist übrigens der einzige von der Kristallglasmanufaktur autorisierte Händler in Frankfurt. Seit langem begeistert er sich für die glänzenden Schönheiten aus Frankreich, insbesondere die eindrucksvollen Kristallgläser für Tisch und Tafel. Die Bar-Kollektionen und prächtigen Kronleuchter haben es ihm wegen ihrer zeitlosen Ästhetik und der einmaligen Handarbeit angetan.
Das Kristall von Saint-Louis ist konkurrenzlos, dicht, klar, klangvoll und leuchtend, geboren aus dem Feuer und dem Atem des Menschen. Peter Schamberger, À Table – Manufakturen für Genießer, Frankfurt
INTERVIEW: THE CRYSTAL GLASS ENTHUSIAST
Saint-Louis CEO Jérôme de Lavergnolle ist so etwas wie der Hüter des Kristallglases. Die moderne DNA des Unternehmens ist auch seinem „Feinschliff“ zu verdanken.
Monsieur de Lavergnolle, was ist das Erfolgsgeheimnis von Saint-Louis?
„Es wäre falsch, Saint-Louis auf Kristallglas zu beschränken, das nur zu besonderen Anlässen verwendet wird. In den Neunzigern kam der Hauptteil des Geschäfts von Hochzeitslisten und ähnlichem. Inzwischen hat sich die Welt verändert, auch die Konsumgewohnheiten sind andere geworden. Ganz zu schweigen davon, dass die Pandemie das Interesse an der Innenarchitektur noch verstärkt hat. Nach wie vor setzt Saint-Louis auf die Entwicklung des ‚Lichts‘, indem sich das Unternehmen auf seine beiden Stärken stützt - Personalisierung und Maßanfertigung - und indem es die Beleuchtungsarten diversifiziert: ein modulares und anpassbares System, Kronleuchter in verschiedenen Größen und eine tragbare Lampe.
Da es kompliziert ist, einen klassischen Kronleuchter in modernen Innenräumen mit niedrigeren Decken zu installieren, haben wir auch horizontale Kronleuchter entwickelt, die unser vertikales Angebot ergänzen. Die ‚MySaintLouis‘-App ermöglicht es, Beleuchtung selbst zu personalisieren und virtuell zu Hause zu projizieren. Nach Paris, Hongkong und New York er-öffnete Saint-Louis Anfang 2022 einen Showroom in Mailand. Diese neue Adresse richtet sich in erster Linie an Fachleute und deren Privatkunden, die ein maßgeschneidertes Beleuchtungserlebnis suchen.“
Wie viele Mitarbeiter:innen beschäftigen Sie?
Saint-Louis beschäftigt derzeit 300 Mitarbeiter:innen (davon 200 in der Produktion mit einem Durchschnittsalter von 38 Jahren). Es dauert zehn Jahre, bis man ein guter Glasmacher ist. Wir sind stolz darauf, zehn MOF (‚Meilleurs Ouvriers de France‘) zu unseren Glashandwerkern zu zählen, von denen einige bereits in der siebten Generation bei uns sind. Es ist ein Beruf, den man nicht aus Büchern lernen kann, sondern indem man den Ältesten bei der Arbeit zusieht und ihre Gesten nachahmt.“
Die Liste der Designer:innen, die in den vergangenen einhundert Jahren für Saint-Louis gearbeitet haben, ist lang und illustre.
“Wir empfehlen Kreativen, die wir zur Zusammenarbeit einladen, unbedingt einige Zeit bei uns zu verbringen und die Atmosphäre einzuatmen sowie die historischen Sammlungen kennenzulernen, bevor sie etwas entwerfen. Unsere DNA muss man verstehen. Auch muss man lernen, die Vergangenheit nicht zu wiederholen. Es ist selten, dass wir etwas direkt aus dem Archiv reproduzieren. Uns ist zeitgemäßes Design wichtig. Wenn man nur die Vergangenheit wiederholt, wirkt man ein bisschen altmodisch.“
INSPIRED BY THE FOREST OF SAINT-LOUIS
„Saint Louis ist eine Mischung aus Tradition und Innovation, die sich immer wieder von zeitgenössischen, künstlerischen Trends inspirieren lässt, um ihre Identität zu erneuern und zu formen. Die Kollektionen runden unser Luxus-Sortiment für Tisch und Tafel perfekt ab. Mit der Porzellan-Manufaktur Meissen und der Flensburger Silber-Manufaktur Robbe & Berking haben wir drei Traditionsnamen, die sich ganz wunderbar ergänzen. In ihnen spiegelt sich par exellence die Liebe für das Kunsthandwerk und ein Bewusstsein für nachhaltigen Luxus.“ Eines von Peter Schambergers Lieblingstücken der Manufaktur ist die Baladeuse der Kollektion „Folia“. Für diese Serie ließ sich der Designer Noé Duchaufour-Lawrance von den Blättern des Waldes rund um die Manufaktur inspirieren. „Abgesehen von dem faszinierenden Schliff der LED-Tischlampe, in dem sich das Licht besonders auffallend bricht, gehört zu den Vorzügen, dass sie tragbar ist, also sowohl auf der gedeckten Tafel, als auch am Abend auf der Terrasse ein echter Hingucker sein kann. Ein aufregendes Stück und ein toller, junger Entwurf. Handgeschliffenes Kristallglas und Eschenholz bilden eine stilvolle Kombination“, so Schamberger.