SPIRIT OF SPICE - ALTES GEWÜRZAMT

In Klingenbergs Altstadt kann man auf Weltreise gehen. Das, was im „Alten Gewürzamt“ der Inhalt der typisch grünen Dosen verströmt, stillt Fernweh und fördert die Genussfreude. Unser Style-Experte Chris Lehr schnupperte in ein Familienunternehmen, dessen Gewürzmanufaktur die Gourmet-Welt beliefert.

Wer den Film „Chocolat“ kennt, weiß, wie ich mich in dem kleinen Laden mit den wunderschönen Bogenfenstern fühle. Verzaubert, betört, verführt. Nur mit Gewürzen. Die Fülle ist überwältigend und ein Fest für alle, die ambitioniert kochen. Darunter entdecke ich die edelsten Einzelgewürze und Mischungen, alle erdenklichen Curry- und Chilisorten, Blüten und Pollen sowie eine große Salz- und Gewürzzuckerauswahl, bei der selbst Steinsalz aus der Wüste im amerikanischen Bundesstaat Utha und der dunkelbraune Feuchtzucker, der in traditioneller Art auf Mauritius hergestellt wird, nicht fehlen. Dazu wachsen einige der Gewürze auch auf nahen Feldern, etwa Kümmel aus Churfranken, mit dem sich fabelhaft Gans, Ente und Wurzelgemüse würzen lässt, oder Korianderkörner mit Zitrusaroma.

Aus ganz Deutschland kommen Stammkund:innen, oft aus der Spitzengastronomie, ins malerische Klingenberg am Main, um die Eigenkreationen des Familienunternehmens einzukaufen. Auch bei den TV-Formaten „The Taste“ und „Grill den Henssler“ wird mit den Produkten des Alten Gewürzamts gekocht. En gros beliefert man Vertriebspartner wie Dallmayr und Edeka.

„SPICE POPE“

„Ohne Farbstoffe, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe und künstlich hergestellte Aromen, unser Qualitätsstandard ist sehr hoch“, erklärt mir Chef Kilian Holland in der großen Produktionshalle außerhalb der Innenstadt von Klingenberg, ganz so als würde er meine Frage nach der Herstellungsweise schon ahnen. 48 Mitarbeiter:innen sind hier damit beschäftigt, die Gewürze und Mischungen herzustellen und versandfertig zu machen. Auf den Weg zu den Gourmets gebracht werden außerdem zahlreiche luxuriöse Feinkost-Produkte, vom äthiopischen Waldkaffee über Waldleberwurst vom Mangalitca Freilandschwein mit Heidelbeeren und Trompetenpilzen bis zum Tonka-Rum. „Unser Betrieb ist sehr familiär und alle haben Verantwortung, das ist mir sehr wichtig“, betont der 34-Jährige Geschäftsführer. Mit dem Alten Gewürzamt trat er in große Fußstapfen. Vater Ingo Holland, Sternekoch, angesehener Gewürzmüller und gefeierter „Gewürzpapst“, gründete 2001 den Betrieb. Als der Senior, der sich kaum eine freie Stunde gönnte, im Sommer 2022 mit nur 64 Jahren überraschend starb, übernahm Kilian Holland die Geschäftsleitung und wuchs schnell in seine neue Rolle.

IT STARTED WITH A DREAM

„Mein Vater lebte für seinen Beruf und wusste schon als Kind, dass er Koch werden möchte. Nach seiner Ausbildung im Steigenberger Frankfurter Hof führte ihn sein Weg zu hochkarätigen Stationen, unter anderem bei den Spitzenköchen Dieter Müller und Harald Wohlfahrt. Schließlich eröffnete er in unserer Heimatstadt Klingenberg am Main sein eigenes Restaurant, womit für ihn ein Traum in Erfüllung ging“, erzählt der Sohn nicht ohne Stolz. In der Zeit seiner Selbständigkeit wurde Ingo Holland mit einem Michelin Stern ausgezeichnet und erhielt von Gault Millau 18 Punkte.

Gewürzt lebt es sich besser. Kilian Holland, Altes Gewürzamt

Seit 2014 konzentrierten sich Vater und Sohn auf die Entwicklung und Herstellung hochkarätiger Gewürzkompositionen. „Die Qualitäten, die es auf dem Markt gab, waren teils sehr schlecht. Dadurch fing mein Vater an, diese für sein Restaurant selbst zu produzieren. Die Gewürze wurden bei uns geröstet, gemahlen und verarbeitet. Das lief so erfolgreich, dass er sich irgendwann nur noch auf den Gewürzhandel konzentrierte und das Restaurant an Ludger Helbig abgab.“

VADOUVAN 

Kilian Holland zeigt mir eine Mischung namens „Vadouvan“, die, wie sie das Alte Gewürzamt herstellt, auf dem Markt einzigartig sei. Ich schnuppere. „Curryblätter, Fenchelsaat und Zwiebel“, erkenne ich. Doch es sind noch viel mehr Zutaten, die das Produkt, dessen historischer Ursprung tatsächlich in Indien liegt, unverwechselbar machen. „Die Herstellung ist sehr aufwändig, das Produkt hat eine Reifezeit von sieben Wochen. Die Qualitäten aus Indien sind oft nicht gut. Daher haben wir nach zweijähriger Entwicklung eine eigene Vadouvan-Mischung auf den Markt gebracht“, erklärt der Experte. Final abgesegnet, lacht er, habe die Neuheit seine fünfjährige Tochter Sofi. Sie stecke sprichwörtlich und mit großer Begeisterung ihre Nase in die Gewürze. „Trotz ihres jungen Alters hat sie bereits ein feines Näschen und kommt quasi zur Produktprüfung in die Fabrik.“ Die nächste Generation hat also schon Feuer für das Alte Gewürzamt gefangen, was auch Mutter Caroline Holland, die sich um Vertrieb und Marketing kümmert, natürlich freut.

BY BIKE THROUGH THE FACTORY

Als das Unternehmen rasant wuchs und immer mehr Mitarbeiter:innen hatte, holten sich Vater und Sohn Unterstützung von außen. Sie ließen sich coachen, um die Abläufe besser zu strukturieren. „2006 waren wir schon so groß, dass mein Vater mit dem Fahrrad durch die Produktionshalle fuhr“, erinnert sich Killian Holland, der gleich nach seiner Ausbildung zum Restaurantfachmann komplett ins väterliche Unternehmen einstieg. 2015 wurde dann die heutige, noch größere Halle gebaut.

NEW PLANS

Was im Alten Gewürzamt in den Mörser kommt, ist oftmals eine Rarität: die Vadouvan-Mischung ist ein Beispiel dafür. Und oft sind es gerade die gewagten und außergewöhnlichen Melangen, die Hobby- und Profiköch:innen gleichermaßen begeistern. Wie bei einem Orchester lässt sich mit Gewürzen jede Nuance eines Gerichts herauskitzeln, dieses Credo nehme ich mit. Ein bisschen Können und Erfahrung sind notwendig. „Bei Schulungen, Tastings und Fabrikführungen kann man bei uns in die Welt der hohen und gesunden Würzkunst eintauchen“, macht Kilian Holland neugierig. Neue Pläne, frisch, aber im Geiste seines Vaters, hat er schon auf dem Tisch. So werden im Obergeschoss der Gewürzfabrik Schulungsräume für Vertrieb und Außendienst entstehen. Die grünen Dosen sollen schließlich weiter die Welt erobern.