Die Kulturregion Rhein-Main erhält mit dem 2022 eröffneten Casals Forum in Kronberg einen neuen Fixpunkt. Der beeindruckende Kammermusiksaal kann es mit den besten der Welt aufnehmen. Ein Besuch.
Und plötzlich herrscht Stille im großen Saal. Gebannt blickt das Publikum im voll besetzten Casals Forum auf die noch leere Bühne. Mit warmem Applaus begrüßt es schließlich das musikalische Duo dieses Liederabends, den Bariton Thomas Hampson und den Pianisten Christoph Eschenbach. Auf dem Programm stehen jene 24 Lieder, die Franz Schubert im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem Tod, zu einem der bekanntesten Zyklen der Romantik verband. Wanderschaft und Unbehaustheit der menschlichen Existenz sind die immer wiederkehrenden Motive der „Winterreise“, die bereits im ersten Vers anklingen: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus.“ So düster der Grundton, so schwerelos-schwebend die Interpretation von Hampson und Eschenbach an diesem Abend, der nach anderthalb Stunden mit frenetischen Bravo-Rufen und (teilweise) stehendem Applaus endet. Und dass, obwohl die Aufführung musikalisch nicht von Anfang an über jeden Zweifel erhaben gewesen war; getragen wurde sie nicht zuletzt auch von der überragenden Akustik und der intimen Atmosphäre des Saals.
VINEYARD AND SHOE BOX
Genau dieser Saal, der 550 Plätze fassende Kammermusiksaal, ist seit der Eröffnung das Herzstück des neuen Casals Forums in Kronberg. Seine Qualitäten wurden nicht nur in der Fachwelt begeistert aufgenommen. Da ist zunächst die Akustik, die sich der intensiven Zusammenarbeit des Berliner Büros Staab Architekten, das bereits für den Neubau des Jüdischen Museums in Frankfurt verantwortlich zeichnete, mit dem Akustiker Martijn Vercammen verdankt. Das Ergebnis ist eine Kombination von zwei akustischen Formprinzipien: dem Weinberg und dem Schuhkarton. Während beim „Weinbergsaal“ die Sitzreihen gestaffelt um die zentrale Bühne herum angelegt sind (eine demokratische Idee, die auf Hans Scharoun zurückgeht und etwa bei der Elbphilharmonie in Hamburg wiederaufgegriffen wurde), sind sie beim „Schuhkarton“ parallel auf eine Bühne ausgerichtet, die sich in einem rechteckigen Raum vor dem Publikum befindet (man denke etwa an die Zuschauersäle der Alten Oper in Frankfurt oder der Staatsoper Berlin). Das akustische Ideal des Weinbergsaals ist ein glasklarer, analytischer Klang; das des Schuhkartons der warme Raumklang. In Kronberg wird die Bühne zwar von gestaffelten Rängen umgeben, diese befinden sich jedoch nicht in der Mitte, sondern am Rand des Saals, dessen Form einem länglichen Sechseck mit abgerundeten Ecken ähnelt. Dabei setzt sich der gesamte Saal aus konkav und konvex gewölbten, geknickten und gefalteten Oberflächen zusammen, die eine optimale Akustik gewährleisten. Die organisch geschwungene Form des Saals erzeugt im Verbund mit filigranen Elementen wie den abgehängten Deckenstrahlern auch architektonisch den Eindruck von Dynamik und Musikalität – beinahe so, als würde man sich im Inneren eines Musikinstruments befinden, was in gewisser Weise ja sogar zutrifft.
NEW MUSIC QUARTER
Räumlich setzt sich der Kammermusiksaal aus zwei vertikal gespiegelten, holzvertäfelten Schalen zusammen. Im Versatz zwischen beiden Elementen ist nicht nur die Empore angeordnet, sondern auch eine umlaufende Verglasung, die den Saal wie ein Band umfasst und eine Beziehung zum umgebenden Stadtraum wie auch zum oberen Foyer ermöglicht. Das Bild des gläsernen Bandes bestimmt die Architektur auch von außen. Hier ruht das Gebäude auf einem kantigen Sockel aus Naturstein. Die horizontale Gliederung wird verstärkt durch das Dach des Konzertsaals. Mit seinem weiten Überstand und der Verkleidung aus eloxierten Metallschindeln könnte man es für eine Zeltkonstruktion von Frei Otto halten. Aus nordwestlicher Richtung, vom Viktoriapark kommend, erscheint das Casals Forum so als selbstverständliche Fortsetzung der Parklandschaft. Weiter nach Osten fällt das Gelände zunehmend ab, die Bebauung wird dichter. Wiederum nach Plänen desselben Architekturbüros wurden hier zwei weitere Bauten realisiert: Ein L-förmiges, entlang der Bahnhofstraße fünfgeschossiges Hotel („Vienna House“) und, dahinter, den klug in den seitlichen Hang integrierten zweigeschossigen Riegelbau der Kronberg Academy, der Studien- und Verwaltungszentrum beherbergt. Die drei Gebäude bilden durch Kubatur und Architektursprache ein Ensemble. Im Bereich zwischen ihnen ist mit dem Beethovenplatz ein neuer öffentlicher Raum entstanden, der dem Casals Forum zugleich als repräsentativer Eingang dient. Die auch als Musikquartier bezeichnete Gruppe wird durch Treppen, Terrassen und Wege miteinander verbunden.
STUDENTS AND GREAT ARTISTS IN EXCHANGE
Mit der Eröffnung des Casal Forums und dem neuen Studienzentrum ist für die Kronberg Academy ein langgehegter Traum in Erfüllung gegangen. Die 1993 gegründete Stiftung hat sich der musikalischen Spitzenförderung verschrieben und bildet alljährlich zwischen 20 und 30 Studierende vor allem an Streichinstrumenten (Geige, Bratsche, Cello) und am Klavier aus. Die seit 2022 erstmals in Kronberg an einem Standort vereinten Spiel- und Ausbildungsstätten – neben dem großen Kammermusiksaal gibt es noch einen kleineren Saal mit 150 Plätzen – ermöglichen den Austausch zwischen Studierenden und den großen Künstlerinnen und Künstlern unserer Zeit. Von diesem Austausch profitiert nicht zuletzt das Publikum, das klassische Musik vom Solisten bis zum Orchester in einem genauso hören- wie sehenswertem Raum erleben darf.