SHARE & HAVE

Das Teilen ist ein zutiefst menschlicher Zug. Lebensmittel, Kleidung, Autos, Wissen – die Kultur des Teilens erlebt im digitalen Zeitalter eine Renaissance. Früher oft bitter notwendig, um zu überleben, ist heute das Teilen, der gemeinschaftliche Konsum, weniger eine Frage eines Mangels, sondern der Haltung.

SHARING IS CARING

Je lieber wir uns haben, desto mehr teilen wir? Mal eben schnell die Gabel des anderen nehmen, okay, oder, hoppla, den Nagelklipper im Bad teilen. Laut einer britischen Studie mit rund 4.300 Paaren, im Auftrag eines Reinigungsunternehmens, teilen Liebende so einiges unterm gemeinsamen Dach: Handtuch (79 Prozent), Deodorant (57 Prozent) und Zahnbürste (39 Prozent – Wow, das ist wirklich überraschend!). Demnach zeigen Paare kaum Hemmungen beim Teilen und dem Demonstrieren von Nähe. Teilen stärkt die Bindung, sagt die Psychologie. Und: das Teilen fördert – es gibt Ausnahmen und gute Gründe dafür – Vertrauen und Intimität. Sharing is caring, heißt es, und – zumindest britische – Paare nehmen dies offenbar ganz gern wörtlich. Ist eine Partnerschaft am Ende, wenn nicht mehr geteilt wird? Es könnte ein erstes Indiz sein.

USE INSTEAD OF OWN

Dinge und Ressourcen teilen verbindet uns nicht nur mit anderen Menschen, sondern ist auch ökonomisch wertvoll. Eine aktuelle Online-Befragung im Auftrag des Wiesbadener Textildienstleisters Mewa (seit 1908, ein Pionier des Betriebstextil-Sharing), an der knapp über 1.000 Personen zwischen 16 und 60 Jahren sowie mehr als 500 Führungskräfte teilnahmen, kam zu dem - nicht ganz überraschenden – Schluss: „65 Prozent der Befragten gaben an, dass leihen, teilen und wiederverkaufen einem Lebensgefühl entspricht“. Lockdown und Mittelknappheit während der Corona-Pandemie hätten viele Konsument:innen dazu gebracht, über einen alternativen Konsum nachzudenken, kommentierten die Trendforscher:innen das Ergebnis. Die Generation Z (die nach dem Jahr 2000 geborenen) nutzt laut Studie Sharing-Angebote am häufigsten. Und auch ohne weitere wissenschaftliche Untersuchung lässt sich behaupten, dass vor dem Hintergrund des Klimawandels und einer fortschreitenden Digitalisierung – unzählige Sharing-Portale und -Netzwerke sind bereits online – die Themen Teilen und gemeinsamer Besitz in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Wird alleiniger Besitz – als ein Statussymbol – sogar irgendwann ausgedient haben? Manche sagen kollaborativen und kooperativen Modellen eine große Zukunft voraus. Kleidung nach unserem Modegeschmack, gewaschen und gebügelt leihweise nach Hause geliefert, ohne sie kaufen zu müssen – der unendliche Kleiderschrank, für uns alle? Erste Dienstleister gibt es schon.

LEARNING FROM THE DORMOUSE

„Nur der ist froh, der geben mag.“ Der Zeigefinger des in Frankfurt geborenen Dichterfürsten Goethe wird gern zitiert, wenn man um großzügige Spenden bittet. Der Großmeister des Worts selbst soll ja eher ein „Geizhals“ gewesen sein, der abgetragene Kleidungsstücke gewendet und von der falschen Seite weitergetragen habe. Ein Geizhals? Mitnichten. Vielmehr ein Vordenker, wie es scheint, fürs Upcycling und Fashion-Nachhaltigkeit. Aus Gründen, die hier zu schildern zu ausschweifend wären (es geht um Goethe als beleidigte Leberwurst), verpasste man 1844 der bronzenen Goethestatue am Frankfurter Goetheplatz eine Jacke, die die Knopfleiste falschrum – also auf links, entgegen der damaligen Herrenmode – verortet. Ob Geheimrat Goethe je einem Straßenbettler, einer Bettlerin eine Münze in die Hand gab? Man weiß es nicht. Charity, das gemeinnützige Teilen, war in seiner Epoche vor allem eine Sache der behördlichen Armenfürsorge.

Doch es ist zeitlos: Um den Sinn des Teilens wirklich zu verstehen und zu spüren, braucht es die Fähigkeit, sich in andere Menschen und deren Bedürfnisse einfühlen zu können. Ist diese angeboren? Nicht ganz. Wie es funktioniert, erklärt vorbildlich das Kinderbilderbuch „Die Geschichte vom kleinen Siebenschläfer, der seine Schnuffeldecke nicht hergeben wollte“. Nach anfänglichem Zögern teilt der Siebenschläfer doch seine geliebte Decke mit anderen Waldbewohnern. Entwicklungspsychologisch beobachten Kinder unter drei Jahren das Konzept des Teilens in Aktion – in der Bildergeschichte wie auch im echten Leben – bei älteren Kindern und Erwachsenen. Wenn Kleinkinder spüren, dass das Teilen mit einer positiven Atmosphäre einhergeht, „ist es für deren Gehirn Anreiz genug, um dieses Verhalten in entwicklungsgemäßem Tempo anzustreben“. To cut it short: Es teilt der Mensch am liebsten, der früh Großzügigkeit gesehen hat. Für uns Erwachsene heißt das: Vorbild sein.

HELP, SHARE, GET ALONG

In praktisch allen Kulturkreisen wird das Teilen sehr positiv gesehen, oft gilt es als besondere barmherzige Tugend. Reich ist, wer teilen kann. Gefällt eine Gabe nicht, wird sie lächelnd angenommen – und an jemanden weiterverschenkt, der sie besser gebrauchen kann, rät man im Buddhismus, wenn das Teilen mal schiefgeht. Teilen, selten Genutztes gemeinsam und mehrfach verwenden, tauschen, verleihen und kooperieren, neu ist das alles nicht. Der Ski-Verleih im Wintersportort und der Waschsalon machen seit langem nichts anderes. Neu sind aber alltäglichere, noch bequemere, ultraflexible Sharing-Plattformen, vom öffentlichen Bücherschrank über Internet-Marktplätze bis hin zu ungeahnten Verleihdiensten. Aber mal ernsthaft, irgendwann, das ist eine Vision, kein Besitz mehr, und das meiste gegen Geld mieten? Hilft das die Welt zu retten? Es spricht einfach viel dafür, dass materieller Besitz auch in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen wird. Zu stark ist unser Wunsch nach Kontrolle und Unabhängigkeit (auch von Sharing-Dienstleistern). Eine noch ausgewogenere Mischung wäre aber wünschenswert: Haben und viel mehr teilen.