Das Deutsche Romantik-Museum neben Goethes Geburtshaus am Großen Hirschgraben ließ lange auf sich warten. Jetzt wird das weltweit erste Museum, das sich der Epoche der Romantik widmet, endlich eröffnet. THE FRANKFURTER durfte kurz vor Fertigstellung einen Blick hineinwerfen.
"SCHLÄFT EIN LIED IN ALLEN DINGEN..."
Hinterher fühlen wir uns wie aufgeladen. Bewegt ist unsere Seele durch die Dichterworte, Bilder und Erfahrungen in diesem gewaltigen Gefühls- und Erinnerungsspeicher. Drei Fassaden, drei Eingänge. Innen ist der komplexe Neubau über die "Himmelstreppe" zu erwandern - ein Stufengebilde, das sich über seine gesamte Länge in Höhe und Breite verjüngt und damit ein weit entferntes Ziel großer Höhe vortäuscht. Eine krasse optische Irreführung. "Das ist typisch romantisch: die Erzeugung und Durchbrechung von Illusion", erklärt die Chef-Kuratorin des neuen Museums, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken. Sie hat lange für das Museum gekämpft. Zehn Jahre.
Außen wie innen ist das Museum mit vielen klugen, teils auch provokanten Eigentümlichkeiten ausgestattet. Etwa große Erkerfenster zum Hirschgraben hin, in die man sich hineinsetzen kann, eines ganz aus blauem Glas. Auch blinde, vorgetäuschte Fenster gibt es. Eines zitiert das Fenster, aus dem Vater Goethe seinen Junior erwartete, wenn dieser aus den Altstadtkneipen heimkehrte. Ein mittelalterliches Fenster wurde bei den Bauarbeiten in einer vergessenen Brandmauer entdeckt, zugemauert lange bevor Familie Goethe hierherzog. Der Fußboden ist mit aufgeschnittenen, beim Abriss des Vorgängerbaus geborgenen Steinen der "Trümmerverwertungsanstalt" belegt. Trümmerschutt der Altstadt wurde nach Kriegsende gemahlen und mit Zement zu neuen Steinen geformt und zum Wiederaufbau genutzt. Roter und gelber Mainsandstein, schwarzer Basalt und Ziegelsteine sind darin wie Jahresringe eingeschlossen - Upcycling in bester Erinnerungskultur.
"...TRIFFST DU NUR DAS ZAUBERWORT."
WÜNSCHELRUTE & WALDHEIMAT
Handschriften, Briefe, Liebeserinnerungen. Die weltweit größte Sammlung zur Literatur der deutschen Romantik, die seit rund 100 Jahren vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt zusammengetragen wird und die bislang im Archiv schlummerte, kann jetzt sichtbar ihre Flügel ausbreiten. Unter den Schätzen in der Schau das meistzitierte Gedicht der deutschen Romantik - Eichendorffs "Wünschelrute" von 1835 - und unser Liebling, die überraschend moderne Handtasche aus dem persönlichen Nachlass von Charlotte Kestner, geborene Buff, aus Wetzlar - das Vorbild der Lotte in Goethes Bestseller "Die Leiden des jungen Werthers" oder die lederne Reisehandtasche der selbstbewussten Romantik-Ikone Bettine von Arnim. Um die Reise- und Wanderwege der Romantiker - erst sie machten das Wandern salonfähig; Wald, Berge und einsame Landschaften wurden als Spiegel des eigenen Inneren wahrgenommen - zu veranschaulichen, breitet eine interaktive Medien-Installation diese Wege aus. Einige sind wie Spinnennetze über die deutsche Landkarte gewebt.
"ÖFFNE ALLE ADERN DEINES WEISSEN LEIBES."
"Viele Romantiker haben sich für Elektrizität interessiert", erklärt Anne Bohnenkamp-Renken und zeigt eine einzigartige Leihgabe: Bestandteile der ersten Akkumulatoren-Experimente. Der kleine Raum widmet sich dem Physiker Johann Wilhelm Ritter, der für Erfindungen rund um die galvanischen Vorgänge bekannt ist. Auch entdeckte er 1802 die Ultraviolettstrahlung. Der Forscher starb jung, mit nur 34 Jahren, wohl an den Folgen seiner vielen Selbstversuche. Die Beobachtungen des Ladungsaustauschs, der Funkenschlag, ein Steckenpferd vieler Frühromantiker, waren die Grundlage für ein an der Elektrizität neu ausgerichtetes Menschenbild - der Mensch ist kein reines Behältnis für einen routinierten Mechanismus, sondern trägt in sich einen elektrischen "Lebensfunken". Und wenn dann zwei sich finden: Liebe lädt sich auf und entlädt sich, der Kuss eine Verschaltung und durch die Adern fließt der ewige Strom.
"DIE BLAUE BLUME SEHN' ICH MICH ZU ERBLICKEN."
Für uns ist die Romantik auch der Anfang der Moderne. Direktorin Dr. Anne Bohnenkamp-Renken
STAIRWAY TO ROMANCE
Im Rahmen des Wettbewerbs "Goethehöfe - Deutsches Romantik-Museum" erfolgte die Beauftragung des Büros Christoph Mäckler Architekten für den Museumsbau.
Herr Professor Mäckler, die Gesamtfassade wirkt auf uns beinahe mittelalterlich wehrhaft. Wie kommt's?
"Das Museum darf keine Fenster haben, da die Ausstellungsstücke keinem Tageslicht ausgesetzt werden dürfen. Deshalb wurde die Haupttreppe hinter die Straßenfassade gelegt, so dass das Romantik-Museum Fenster haben konnte. Das Goethe-Haus, nach dem Krieg wieder aufgebaut, wirkte zwischen den 1950er-Jahre-Bauten wie ein Fremdkörper. Um das Bauwerk als Teil der Gesamtanlage städtebaulich zu stärken, wurden drei Einzelfassaden errichtet. Entstanden ist ein Gebäudeensemble, dass das Romantik-Museum verkörpert. Eine weitere Voraussetzung war, den romantischen Gedanken im Entwurf des Hauses wiederzufinden. Und auch diese findet man in der Fassade und an vielen anderen Gebäudeteilen wieder."
Eine der Überraschungen ist besagte "Himmelstreppe", eine gelungene optische Täuschung.
"Das ist ein Wesenszug der Romantik: immer der Schein von etwas. Die blaue Treppe macht den Genius loci, den Geist des Ortes, subtil und sehr gut erlebbar."
Die Architektur regt zu Eigenerfahrungen an. Welche mögen Sie besonders?
"Wer im Haupthaus oben aus der Gaube schaut, kann, genau so wurde sie gesetzt, durch einen Gebäudeschlitz auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Türme von Dom, Paulskirche und der Europäischen Zentralbank sehen. Zwei Türme sind in Goethes Werk 'Dichtung und Wahrheit' beschrieben."