OH, LÀ LÀ - THE ALCHEMIST

Für Anna Reckmann ähnelt die Kunst der Pâtisserie der Alchemie: Verschiedene Stoffe verwandeln sich in einem aufwendigen Prozess zu etwas Wunderbarem. Ihre Frankfurter Manufaktur gleicht also nicht zufällig einem Labor, wo Torten, Pralinen und Macarons verführerisch wie Gold das Licht der Welt erblicken. Schokoladenfan Chris Lehr erzählte die „Goldmacherin“ einige Geheimnisse der Gourmet-Nascherei.

Was hier im Reuterweg 64 so hübsch durchs Fenster strahlt und lockt, ist das süße Reich von Anna Reckmann. Sie ist Chemikerin, in Paris ausgebildete Pâtissière und Herrin über ein Schlaraffenland. In ihrem Pâtisserie-Café treffen sich alle, die Klasse der Masse vorziehen und sich für Verführungen aus Meisterinnenhand entscheiden. Wie in der Alchemie, diesen Vergleich macht sie selbst, ist der Entstehungsprozess zwar kein grundsätzlich geheimer, aber doch einer, welcher der Ruhe bedarf. Ihre Manufaktur, wo alles entsteht, ist daher im Stadtteil Griesheim, in einem Hinterhof. Jetzt im Sommer kreiert sie dort wieder viele mehrstöckige Hochzeitstorten, romantische Kunstwerke, die zum Verzehr fast zu schade sind. Verblüfft hat mich ihr Sortiment, um es vorwegzunehmen, auch wegen seiner krassen Experimentierlust – vertraute und außergewöhnliche Aromen werden zum „Opus Magnus“, wieder ein Begriff aus der Alchemie, zusammengeführt. Ich sage nur: Praline „Tiroler Speck“. Außen Zartbitterschokolade, innen ein Gelee, das den Speck wie ein leises Zitat feiert – köstlich!

Ich veredle einfache Zutaten und versuche, sie quasi zu Gold zu machen. Anna Reckmann, Pâtissière

CHEMISTRY OF THINGS

In ihrem ersten Beruf war Anna Reckmann Chemikerin, promovierte sogar, erzählt sie in der Manufaktur, während ich zuschaue, wie sie ihre Macarons à la parisienne kreiert. Einige Jahre habe sie zufrieden in diesem Job gearbeitet – bis ihre kreative Ader mehr Entfaltung einforderte. Zwar sei das kulinarische Kochen schon in ihrer Kindheit ein großes Hobby gewesen, mehr allerdings nicht. Dinge zu analysieren, liebte sie ebenfalls früh, ein Interesse, das zunächst in einem Chemiestudium mündete. Nach mehreren Praktika in der Sternegastronomie, unter anderem bei Facil in Berlin, Aqua in Wolfsburg und Haerlin in Hamburg, entschied sie sich in Paris, dem Epizentrum der Pâtisserie, eine Ausbildung zu beginnen. Wenn schon Jobwechsel, dann auf höchstem Niveau. Ihre Lehrzeit absolviert sie an der renommierten Gastronomieschule Ferrandi (CAP Pâtisserie) und hält schließlich das „Diplôme de Pâtisserie“ in Händen. Dann: Erst einmal vortasten. Sie ist viel auf Messen und entwickelt peu à peu den Plan, sich selbstständig zu machen.

Da sie aus Südhessen stammt, schaut sie sich auch Räumlichkeiten in Mannheim an. Als sie in Griesheim das Richtige findet, waren die Würfel gefallen. Ihre Wünsche für die Herstellung exklusiver und individueller Pralinen, Petits Fours, Törtchen, Tartes und Torten nebst Macarons, wie sie sie in Paris kennengelernt hatte, fanden ein Labor. Wo früher ein Bäcker und ein türkischer Baklava-Hersteller ansässig waren, beginnt Anna Reckmann die Produktion. Und traut sich schnell, sehr ungewöhnliche handwerkliche Kreationen als ihr Markenzeichen aufzubauen. Im Herbst 2019 kam das kleine elegante Patisserie-Café im Westend hinzu – und hat vielen Frankfurter:innen in der Pandemie süßen Trost gespendet. „Viele Kunden, oft aus den umliegenden Büros, haben sich damals Sachen zum Mitnehmen gekauft.“ Heute ist das Café, in dem die Kreationen wie kostbare Juwelen in der Glasvitrine liegen, ein beliebter Anlaufpunkt für Tourist:innen und junge Hipster im Viertel.

COLORFUL CANDY

Apfel-Wasabi, Maracuja-Lakritz und – natürlich in Frankfurt ein Renner – Apfelwein. Nur einige der ungewöhnlichen Creme-Geschmacksrichtungen der bildschönen Macarons, die beim Reinbeißen eine herrlich zart-knackige Hülle spüren lassen. „Ich achte bei der Herstellung besonders auf eine pudrige Qualität des Mandelmehls“, verrät sie mir das kleine Geheimnis. Es macht Spaß ihr zuzuschauen, wie sie die Creme zwischen die Macarons spritzt, und eine glänzende rote Flüssigkeit aus Beeren über den gefrorenen Schaumring laufen lässt. Bei Süßigkeiten schlägt mein Herz einfach bis zum Anschlag – und die Erinnerung an meine Kindheit, wie ich in der Küche meiner Mutter Gebäck und Kuchen backe, ist wieder rundum da.

Die Pralinen sind noch mutiger: besagte Sorte „Tiroler Speck“ mit Parmesan, aber auch Mango mit Curry oder Haselnuss mit Sojasauce und Karamell. Jetzt, wenn es sehr heiß ist, lieben die Kund:innen mehr frischere Sorten wie etwa Limette, Basilikum und Beeren. „Generell geht der Trend mehr zur dunklen Schokolade“, weiß die „Goldmacherin“. Auch handgemachtes Eis gibt es im Sommer, ich empfehle Olive oder Sauerampfer zu probieren, mit einer Kugel Schokoladeneis. Ein Fest!

LESS SUGAR, MORE REGIONAL

Kein Wunder also, dass Anna Reckmanns innovative Pralinen schon mehrfach internationale Preise gewonnen haben. Sie darf sich außerdem „Bestes Café“ (DER FEINSCHMECKER, Landessieger Hessen) nennen. Dass sie Chemikerin ist, hat die perfekten Grundlagen geschaffen, die Chemie der Dinge zu verstehen und anzuwenden. Ihre Ausbildung in Paris schärfte dies noch. „Die Qualität der Rohstoffe steht im Mittelpunkt, möglichst bio und regional, auch wenn man damit saisonal gebunden ist. Auf den Einsatz von zu viel Zucker verzichte ich bewusst, vor allem damit die Aromen besser herauskommen.“ Was die Wertschätzung von Lebensmitteln angeht, habe sie viel in Frankreich gesehen: „Dort gehört gutes Essen zur Lebensqualität.“ Sie reist gern „mit offenen Augen“ um die Welt und liebt es, sich auf Märkten inspirieren zu lassen. Gern würde sie ihr Unternehmen vergrößern, aber für eine zweite Verkaufsstelle fehlt ihr noch das Personal. Das ist wie derzeit überall in der Gastronomie rar.