Eine Vision nimmt Gestalt an: Neubau und Sanierung des Jüdischen Museums Frankfurt sind im Oktober vollendet. Museumsdirektorin Mirjam Wenzel und Michel Friedman begleiteten THE FRANKFURTER bei einer exklusiven Baustellen-Preview und sprachen über die Hoffnungen, die sie in die neue Kulturstätte als Ort der Erinnerung, Begegnung und Auseinandersetzung legen.
„Speisekarte des Restaurants ‚Maxie Eisen‘ mit ‚Pastrami-Sandwich‘ und ‚Matzo Ball Soup‘, Frankfurt am Main, 2018, Schenkung James und David Ardinast.“ So liest man es an einer Vitrine im Rothschild-Palais am Mainufer, wo die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt einziehen wird. Noch ist die Vitrine leer, wie alle, die schon auf der Baustelle sind und die eigentlich seit einem Jahr gefüllt sein sollten. Der Abschluss des 50 Millionen Euro teuren Erneuerungsprozesses verzögerte sich mehrmals, auch da sich der bauliche Zustand des Palais als wesentlich schlechter erwies als zunächst erwartet. Im Herbst soll der neue Kulturort nun endlich der Welt präsentiert werden. Die erste Sonderausstellung widmet sich ab 20. Oktober der „weiblichen Seite Gottes“.
UNDER CONSTRUCTION
Über uns, im Atrium des Neubaus, ein großes Stück Frankfurter Himmel, die Wände ringsum – aus feinem grauem Sichtbeton, samtig wie polierter Marmor – konzentrieren sich auf das Wesentliche. Beton geht auch schön! Mirjam Wenzel und Michel Friedman schlagen vor, sich für unsere Kamera auf einen Berg Isolierwolle zu setzen, der helle Staub an ihrer Kleidung wird diese Spontanität dokumentieren…
Wir wollen der Stadtgesellschaft und darüber hinaus allen einladend zugewandt sein. Mirjam Wenzel
Dass der Endspurt naht, ist nicht zu übersehen. Überall hängen Kabel wie Westernlassos aus den Decken, Handwerker eilen ameisengleich hin und her, Hammerschläge dröhnen. Unterirdisch bereiten sich wichtige Herzkammern auf ihren Einsatz vor, dort werden temporäre Ausstellungen zu sehen sein. Auch eine öffentlich zugängliche Bibliothek und einen Veranstaltungssaal wird es geben, ebenso ein Café mit Außenterrasse. „Dort können wir die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze, vermitteln. Es wird ein milchig-koscheres Deli, was es in Frankfurt so noch nicht gibt“, freut sich die Direktorin. „Geschützte Offenheit“ ist das Prinzip des Hauses: „Wir wollen ein ‚Museum ohne Mauern‘ sein, das heißt, der Stadtgesellschaft und darüber hinaus allen einladend zugewandt. Mir ist es wichtig, das Museum als sozialen Ort zu vermitteln.“
JEWISH HEARTBEATS
„Früher wohnten wir in Frankfurt ...“, begann Anne Frank ihr Tagebuch, das meistgelesene Buch über die Zeit des Nationalsozialismus. In der neuen Dauerausstellung wird der Nachlass ihrer Familie zu sehen sein, darunter Möbel, Spielzeug und Fotografien. „Das wird auch sehr viele Gäste aus Asien ansprechen, wo Anne Frank eine ganz eigene Rezeption erfährt“, erklärt Mirjam Wenzel. Tatsächlich wird Anne Frank in Japan fast wie eine Heilige verehrt.
Alltagsgegenstände, Briefe oder Memorabilia von Frankfurtern, das narrative Moment ist zentral. In ihnen verdichten sich individuelle und kollektive Erfahrungen, Selbstdeutungen und Beziehungen. Jurist und Publizist Michel Friedman, der schon früh die Erweiterung des Jüdischen Museums forderte, erzählt von einem kleinen Stück Holz, das er in seiner Anwaltskanzlei wie einen Schatz hütet. „Als die Fabrik von Oskar Schindler, der lange in Frankfurt lebte und den ich persönlich kannte, restauriert wurde, musste der alte Bodenbelag entfernt werden. Ein Stück davon besitze ich nun, für mich ein starkes Symbol. Meine Eltern, die gerettet wurden, liefen damals darüber."
Mich erinnert das Holzstück immer daran, andere zu ermutigen, etwas zu tun. Oskar Schindler hat etwas getan! Ein Überlebender sagte einmal, in Auschwitz sei das 11. Gebot geschrieben worden: ‚Du sollst nicht gleichgültig sein!‘ Michel Friedman
MEMORY, MESSAGE, MISSION
Ich wünsche dem Haus leidenschaftliche, konstruktive Streitgespräche. Michel Friedman
TO BE DISCUSSED...
Ich wünsche mir, dass das Museum ein lebendiger Ort des Austauschs, der Diskussion und Selbstreflexion wird. Und dass jeder mit mehr Fragen rauskommt, als er reingekommen ist Mirjam Wenzel