THE FRANKFURTER schaut nach Italien. In Florenz fand die legendäre „Pitti“ wieder statt und zeigte modebewussten Männern, was im Sommer 2023 Trend ist. Unsere Style-Expertin Alessandra Frank berichtet von den Neuigkeiten.
PITTI, WHAT?
Nach einer zweijährigen pandemiebedingten Pause, fand im Juni wieder uneingeschränkt die Pitti Immagine Uomo statt. Erstmals im September 1972 veranstaltet, ist das von Insidern liebevoll schlicht „Pitti“ genannte Event weltweit die wichtigste Messe für Männermode und Accessoires. Sie findet zweimal jährlich – im Januar und Juni – in der Fortezza da Bazzo, einer Festungsanlage aus dem 16. Jahrhundert, statt. Anfänglich diente die Messe als Plattform, um italienische Männermode einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Inzwischen ist sie international zu einer der relevantesten Modemessen gewachsen, auf der große und kleine Marken aus der ganzen Welt für ihre neuesten Kollektionen Käufer:innen suchen. Und diejenigen, die über das entsprechende Budget verfügen, veranstalten in historischen und oft extravaganten Locations spektakuläre Shows. Man kann also von einem absoluten Hotspot der Herrenmode sprechen – und auch wenn es manchmal so aussehen mag, als ob die Messe eine einzige lange Fotosession ist, bei der sich alle für Social Media gegenseitig fotografieren, so wird hier doch für die weltweite Kleiderindustrie einträglich Business gemacht. Die Messe ist damit auch für Italien und Florenz wirtschaftlich ein Schwergewicht.
PITTI 102
Genau 682 Brands nahmen an der neuesten Ausgabe der Pitti 102 teil, fast die Hälfte davon nicht-italienische Marken. Über 16.000 Käufer:innen und Besucher:innen (doppelt so viele als noch während der von der Covid-Pandemie geschüttelten Januarausgabe) und über 1.300 akkreditierte Journalist:innen, Influencer:innen und Medienschaffende zeigten: Trotz der aktuell schwierigen Weltlage und der immer noch nicht absehbaren Folgen der Pandemie hat diese Messe ihren zentralen Stellenwert im internationalen Fashion-System nicht eingebüßt. Doch die Pitti ist nicht nur wichtig für das Business – hier können Modeverrückte endlich mit Gleichgesinnten über die neuesten News und Gerüchte aus der Modewelt fachsimpeln, über den nächsten Designer:innenwechsel spekulieren, sich gegenseitig obskure Nachwuchsdesigner:innen zeigen und vor allem ungeniert ihre ausgefallensten Outfits tragen, ohne schief angeschaut zu werden. Tatsächlich haben die sogenannten „Peacocks“ einen ganz bestimmten Stil bei der Pitti entwickelt: Maßgeschneiderte Anzüge, polierte Lederschuhe, unter den Arm geklemmte Handtaschen, große Hüte, passende Einstecktücher, bunte Farben und smarter Mustermix zeichnen ihre Outfits aus.
GUEST DESIGNER: GRACE WALES BONNER
Die Attraktivität der Messe wird jedes Jahr durch spezielle Gast-Designer:innen erhöht, die sonst in New York, Paris, London oder Mailand ihre Kollektionen zeigen. In der Vergangenheit gehörten illustre Namen wie Kenzo, JW Anderson, Jil Sander, Damir Doma, Kolor und Rodarte dazu. Im Juni zeigte Grace Wales Bonner ihre Kollektion – übrigens ihre erste Runway-Show seit Januar 2020. Die in London geborene Kreative mit jamaikanischen Wurzeln gilt in der Branche schon seit längerem als mögliche nächste Designerin eines großen Modehauses. Gemunkelt wird, dass sie vielleicht sogar von Louis Vuitton angeheuert werden könnte: Das Label sucht seit dem unerwarteten Tod Virgil Ablohs einen neuen Creative Director für seine Menswear.
Wales Bonners Mode mit ihrer frischen und interessanten Mischung aus lässiger Sportswear und präzisem Schneiderhandwerk würde auf jeden Fall gut zur Marke passen. Ihre Show im Florentiner Palazzo Medici Riccardi war eine bewusste Wahl – war der Palast doch der Wohnsitz von Alessandro de’ Medici, dem so genannten „Schwarzen Prinzen“, der als erstes schwarzes westeuropäisches Oberhaupt gilt.
Ihre dort präsentierten Outfits verbanden auf elegante und unaufdringliche Art, europäische Traditionen mit ihren afro-karibischen Wurzeln. Um diese noch weiter zu betonen, arbeitete Wales Bonner mit Ibrahim Mahama zusammen: Der Künstler aus Ghana pflasterte den Marmorboden und viele der Palastwände mit Jutesäcken von den Märkten seiner Heimat. Insgesamt zeigte die Britin eine ruhige, unaufdringliche, smarte und elegante Kollektion. Akzente setzten handgenähte Sneakers und Lederboots sowie auffällige, barocke Halsketten mit Glasperlen aus Ghana.
AN ICON FROM ANTWERP
Ann Demeulemeester, die ikonische Designerin aus Antwerpen, kam als Ehrengast der Pitti 102. Die Belgierin war zudem Kuratorin eines speziellen Projekts, das ihre Designs und ihre Brands im Fokus hatte. Demeulemeester gehört neben Martin Margiela zur Designer:innengruppe der Antwerp Six, die in den späten Achtziger und frühen Neunzigerjahren mit konzeptuellen und dekonstruktivistischen Designs die Mode revolutionierten und maßgeblich an der Gestaltung des minimalistischen Looks der Neunzigerjahre beteiligt waren.
In der stillgelegten Stazione Leopolda, einem Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert, waren Teile vergangener Kollektionen zu besichtigen – deren poetischen, ernsthaften, experimentellen, starken und gleichzeitig sinnlichen Designs haben nichts an Aktualität eingebüßt und ihre düstere und glamouröse, romantische und anspruchsvolle Ästhetik ist unvermindert kraftvoll.
GLAD TO BE BACK!
Insgesamt war die Stimmung positiv und die Pitti selbst zeigte sich durchaus zufrieden mit dem Geschäft – man merkt, dass alle genug von der Pandemie haben und wieder voll ins Leben zurückkehren möchten. Entsprechend auch die Botschaft der präsentierten Trends: Lässig geschnittene Anzüge, viel Handwerkskunst bei den Accessoires, weiche Strickwaren in pastelligen Farben, entspannte Silhouetten, umweltfreundliche Stoffe, Gender-neutrale Kleidung und Hüte in allen Formen erwarten den modebewussten Mann im nächsten Sommer. In einer nicht einfachen Zeit war die Pitti ein Fenster in eine freudvolle, farbenfrohe Welt. Vorsichtig optimistisch gehen wir mit der Pitti in eine hoffentlich friedlichere Zukunft. See you next January!