MATTHIAS THOMA - THE TREASURE KEEPER

Er ist Gralshüter, Lexikon und Fan: Matthias Thoma leitet das Eintracht Frankfurt Museum und archiviert die Höhen und Tiefen der Vereinsgeschichte. THE FRANKFURTER traf ihn zum Lunch bei Alfio’s am Opernplatz, ganz nah bei dem Ort, wo einst die Geschichte der Eintracht ihren Lauf nahm.

Kaum haben wir auf der schönen Außenterrasse des Alfio’s, vis-à-vis der Alten Oper, Platz genommen, erfahren wir die spannende Historie, die sich hier abgespielt hat. Für Matthias Thoma ist die Eintracht überall in Frankfurt. Er zeigt auf ein Haus mit blauen Markisen und erzählt: „Dort war das Vereinslokal des FFC Germania 1894. Als sich einige Germanen in die Haare bekamen, gründete man im ‚Friedrichshof‘ im Bahnhofsviertel einen eigenen Fußballverein – die Victoria, den ältesten Vorgängerverein der Eintracht. Und der Kneipenwirt dort hat gleich einen Ball gespendet. Fußball war anfangs hochbürgerlich und in den feinsten Viertel zuhause.“ Und ja: „Dort, wo früher am Opernplatz das Mövenpick Restaurant war, stand in den 1920er-Jahren das Café Hanselmann, damals ein Treffpunkt der Eintracht. 1932 ging es von dort zum Endspiel nach Nürnberg – in einem Konvoi aus 102 Autos!“

ONCE A FAN, ALWAYS A FAN

Matthias Thoma ist in seinem Element. Minutiös hat er Daten und Fakten parat. Und man lässt sich von ihm gern tragen zu den vielen Geschichten und torstarken Persönlichkeiten der Eintracht. Es ist sein Verdienst, dass das Eintracht Frankfurt Museum aus einem von Vielen belächelten Sammelsurium zu einer Institution von Rang geworden ist. Von den Clubs geführte Fußballmuseen gibt es in Deutschland nicht viele und die wenigen sind inzwischen gut vernetzt, was nicht zuletzt Matthias Thoma zu verdanken ist. Das Eintracht Frankfurt Museum in der Haupttribüne des Deutsche Bank Parks sei für Kinder und Jugendliche oft die erste Begegnung mit einem Museum, sagt Thoma. Es gibt viele Workshops für Schulklassen und junge Fans. Erwachsene wiederum suchen die Nähe zu Sammlerstücken und Pokalen, was oft religiöse Züge annehme: „Den DFB-Pokal küssen ist erlaubt, aber man darf ihn bei uns im Museum nicht hochheben. Manche bringen Fotos von verstorbenen Fans aus der Familie mit und lassen sich damit vor dem Pokal fotografieren“, weiß Thoma. Einmal Fan, immer Fan.

BLOOD, SWEAT & TEARS

Lieber Stadionbratwurst statt Gourmet? Lieber Cola statt Sekt? Glücklicherweise können wir den Museumsleiter leicht überreden, auf die köstlichen Empfehlungen des Patrons zu vertrauen – Ferrari Spumante und, yummie, Meeresfrüchte! Das sizilianische Fine Dining Restaurant Alfio’s ist schließlich bekannt für seine exklusive Seafood-Auswahl.

Wir fragen nach den Neuzugängen im Museum, nach denen sich die Fans die Finger lecken. Für die einen sind es Heiligtümer, für die anderen verschmutzte Kleidungsstücke: Die Hose von mittlerweile Ex-Trainer Oliver Glasner oder das Trikot von Sebastian Rode, das er beim Europa League-Finale in Sevilla trug. Matthias Thoma erklärt: „Glaser machte mit der Hose nach dem Sieg in Camp Nou einen Diver. Danach übergab er uns die Hose, auf der man am Knie Rutschspuren vom Rasen erkennen kann. Rode traf in Sevilla ein Stollen am Kopf und sein Trikot wurde blutig. Das zeigen wir jetzt in der Ausstellung. Filip Kostić brachte uns persönlich seine Schuhe aus dem Spiel, bei dem die Eintracht mit 3:2 bei Barca siegte. Leider frisch geputzt!“

FAITHFULL UNTO DEATH

Dass Fußball-Sammlerstücke und kirchliche Reliquien sich nahe seien, liege auf der Hand, so Thoma: „Tatsächlich gibt es einige Parallelen. Die Nähe zu Religion und Kult fängt bereits bei den Wechselgesängen und den gebetsmühlenartig gesungenen Liedern im Stadion an, oder beim Fahnenklau, den es schon bei den römischen Legionen gab. Ein blutiges Trikot ist hier natürlich eine Reliquie ersten Grades. Und die Haltung ‚Eintracht - Getreu bis in den Tod‘ nicht zu vergessen. Uns berät bei diesem Thema ein Religionspädagoge, und die Parallelen, die er aufzeigt, sind wirklich erstaunlich.“

FROM CRADLE TO GRAVE

Apropos Tod. Wahre Liebe geht über den Tod hinaus. Schalke-Fans haben ja ihren eigenen Friedhof – mit Blick aufs Stadion. Wann ist das für die Fans der Eintracht möglich? „Noch ist das kein Thema, aber es wird irgendwann eines sein“, glaubt Thoma und erzählt über die beliebten Führungen auf dem Haupt- und Südfriedhof zu den Gräbern von Eintracht-Prominenten. Von der Wiege bis zur Bahre? Eintracht-Hochzeiten und -Taufen finden bereits seit langem in der Stadionkapelle statt, die Nachfrage sei groß. Einmal mehr zeigt sich daran, dass Fußball weit mehr als ein Spiel ist – Fußball ist für echte Fans ein ewiger Lebensbund. Auch für Thoma. Erst neulich war er bei seinem Vater und schenkte ihm eine Flasche Sekt, denn „vor genau 40 Jahren waren wir erstmals zusammen im Stadion, als die Eintracht 0:1 gegen Bremen verlor.“ Das Stehen in der Fankurve ist für ihn nach wie vor ein Erlebnis, „machtvoll und kräftig, auch wenn man vor lauter Fahnen nicht viel vom Spiel sieht, aber es geht ja um das Gesamterlebnis“, schwärmt er.

NOTHING IS FOREVER?

Jedes Spiel ist endlich, doch auch Torwarthandschuhe sind es, staunen wir. Kunststoffe verändern sich über die Jahrzehnte und sind konservatorisch eine echte Herausforderung. „Der Verfall von Torwarthandschuhen ist nicht zu stoppen. Es gibt noch keine Lösung, sie dauerhaft zu erhalten“, weiß Thoma. Heikel seien die Grip-Noppen, „die fangen irgendwann an zu bröckeln“. Und die Bälle: „Die aus den 70er- und 80er-Jahren werden strohtrocken und steinhart. Die Ganzleder-Bälle aus den 1950er-Jahren kann man dagegen gut erhalten.“ Bestandserhaltung sei daher ein wichtiges Thema im Eintracht Museum geworden. Rat holte man sich von verschiedenen Frankfurter Museen. Das Rasengrün auf Glasners Hose und das Blut auf Rodes Trikot etwa wurden von einem Restaurator aus dem Rheingau für die Ewigkeit präpariert.

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INTEREST GROWN

Das Eintracht Frankfurt Museum hat eine starke Rückendeckung. Man arbeitet selbstständig als GmbH, eine Tochtergesellschaft der Fußball AG: „Man merkt, dass die Historie immer mehr Aufmerksamkeit bekommt, auch für Sponsoren, vor allem nach dem Pokalsieg 2018.“ Hinzu kommt ein Förderverein mit derzeit rund 900 Mitgliedern (die u.a. freien Museumseintritt und Führungen an den Spieltagen genießen). Mittlerweile verfügt das Museum über fünf festangestellte Mitarbeiter:innen, rund 20 Werkstudent:innen, Honorarkräfte und weitere freie Mitarbeiter:innen. Bedenkt man die Anfänge, als Thoma um das Jahr 2005 als Einzelkämpfer mit den ersten Recherchen begann, ist dies ein Riesenschritt, der heute deutschlandweit nicht nur in Fußballkreisen Anerkennung findet. Bücher zur Vereinsgeschichte schreibt Thoma, der in Hofheim lebt, auch.

Inzwischen beim Dessert angekommen – ein Schlaraffenland aus Süßspeisen sizilianischer Art – erzählt er über sein neuestes Projekt. „Helmut ‚Sonny‘ Sonneberg, Holocaust-Überlebender und langjähriger Fan, war ein herausragender Zeitzeuge. Im Museum führte er regelmäßig Besuchergruppen. Schon vor seinem Tod sprachen wir über den Plan, ein Buch über ihn zu schreiben. Jetzt schaut er vom Fußballhimmel runter, wie ich es mache.“