IS CHANGE REALLY ALWAYS A GOOD THING?

Noch nie wurden Designer:innen so schnell von Modelabels ausgewechselt wie in den letzten Jahren – stellt sich der erwartete Erfolg nicht ein, wird der nächste kreative Kopf angeheuert. Was sind die Gründe für diesen erhitzten Durchlauf – und können wir als Konsument:innen etwas daran ändern, fragt Fashion-Expertin Alessandra Frank.

Die Zeiten, in denen Chefdesigner:innen bei ein und demselben Modehaus jahrzehntelang oder sogar bis zu ihrer Rente arbeiteten, sind längst vorbei. Heutzutage wechseln die kreativen Köpfe so schnell die Brand, für die sie entwerfen, dass selbst Branchen-Insider den Überblick verlieren. Der alte Glanz von Kreativen wie Karl Lagerfeld, Yves Saint Laurent oder Gianni Versace, die die ganze Welt kannte und die entsprechend mehr Macht hatten, ist größtenteils vorbei. Heute werden Designer:innen eingestellt, die vor allem eine Funktion erfüllen sollen: Umsatz machen. Wie ist es aber dazu gekommen?

Im engen Takt der Kollektionen entlassen Labels immer rücksichtsloser ihre Designer:innen. Alessandra Frank

Der Druck auf Designer:innen, künstlerisch und vor allem finanziell erfolgreiche Kollektionen zu produzieren, ist so groß wie noch nie. Wenn früher zwei Kollektionen pro Jahr vorgestellt wurden, sind es heute bis zu acht. Auch ist das Tempo, in dem Trends und Styles sich ändern, enorm gewachsen. Das Internet und vor allem Social Media spielen hier eine große Rolle: Wartete man früher monatelang bis aktuelle Kollektionen in der Vogue oder schließlich im Laden zu sehen waren, schaut man heute über Live-Streams direkt dem Runway zu. In Echtzeit werden die ersten Bilder auf Instagram publiziert. Ein Label muss also permanent, Saison für Saison und Kollektion für Kollektion, für Begeisterung sorgen und dafür, dass über sie viel und oft berichtet und gepostet wird.

PREDESTINED BURNOUT?

Das kann für die verantwortlichen Kreativen kaum länger als einige wenige Jahre tragbar sein. Als Resultat sind schnelle Designer:innenwechsel dann auch fast unumgänglich. Verträge werden oft nicht über einen längeren Zeitraum als drei Jahre geschlossen – dies ermöglicht es Labels, ihre Creative Directors schnell und ohne Rücksicht bei finanziell erfolglosen Kollektionen zu feuern und Ersatz einzustellen. Marc Jacobs durfte noch ganze 16 Jahre seine Kreativität bei Louis Vuitton entwickeln und ausleben, John Galliano war 15 Jahre bei Dior, Alber Elbaz 14 bei Lanvin. Heute sind diese Arbeitsverhältnisse zum Teil dramatisch kürzer – die Anforderungen an Modehäuser werden immer anspruchsvoller: Von Designer:innen wird erwartet, innerhalb kürzester Zeit finanziell erfolgreiche Kollektionen zu produzieren, so genannte It-Bags zu kreieren, auf Social Media für Gesprächsthemen zu sorgen und damit die Marke in ein permanentes Gespräch zu bringen. Wenn das nicht innerhalb weniger Saisons gelingt, wird die kreative Führung kurzerhand ausgetauscht.

MUSICAL CHAIRS

Beim Blick auf die letzten zehn Jahre kann einem ganz schwindlig werden: Hedi Slimane war gerade mal vier Jahre bei Saint Laurent, bevor er zu Celine wechselte. Nachfolger wurde Anthony Vaccarello, der vorher unter Donatella Versace für ihre Nebenlinie Versus gearbeitet hatte. Nach dem Tod Oscar de la Rentas wurde Peter Copping Creative Director des renommierten Hauses – wo er gerade mal zwei Jahre blieb, bevor das Design-Duo Laura Kim und Fernando Garcia den Job übernahm. Raf Simons wechselte von Jil Sander zu Christian Dior, nach nur drei Jahren zu Calvin Klein und nach wiederum zwei Jahren zu Prada, wo er heute zusammen mit der Firmengründerin Miuccia Prada für die Kollektionen verantwortlich ist. Clare Waight Keller, die von der Kritik hochgelobte Kollektionen für Givenchy kreierte, wurde trotzdem nach nur drei Jahren durch Matthew Williams ersetzt: Ihre Designs hatten schlicht nicht den erwünschten Umsatz erzielt. Mit Williams holte man jemanden, der mit seinen Streetwear-inspirierten Designs verspricht, eine jüngere Klientel anzulocken. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Bei Labels aus Deutschland sieht es etwas anders aus: Die meisten werden schlicht nicht so groß, als dass der Gründer sein Haus verlassen würde (Ausnahme ist Jil Sander).

DESIGNERS ARE GETTING FED UP

Aber nicht nur die Labels entlassen scheinbar rücksichtslos ihre Designer:innen, umgekehrt scheinen auch diese immer weniger bereit, bei dem halsbrecherischen Tempo der Modeindustrie mitzumachen. Raf Simons machte das bei seinem Abgang von Dior klar: Er hatte als Creative Director des Labels einen der begehrtesten Jobs der Industrie inne. Zusätzlich zu seinem eigenen Label, das er weiterhin führt, war er in dieser Rolle für sechs Kollektionen pro Jahr verantwortlich – eine Anzahl, die sich wenig überraschend als zu kräftezehrend entpuppte. So erzählte er in einem Interview, dass man bei sechs Kollektionen pro Jahr schlicht nicht genug Zeit habe für den kreativen Prozess. Technisch sei es zwar machbar, Dior hätte genügend Näher:innen, Schneider:innen und so weiter. Aber man hätte keinen Raum mehr, Ideen zu erarbeiten, diese ruhen zu lassen und später auf sie zurückzukommen und weiterzuentwickeln.

BUY LESS – SLOW DOWN

Die Industrie ist völlig überflutet von zu vielen Kollektionen, Kollaborationen, Special Editions und Produkten. Früher oder später wird die Modebranche einsehen müssen, dass sich etwas ändern muss – kleinere Kollektionen müssen produziert werden, von sechs bis acht im Jahr wieder zurück zum halbjährlichen Rhythmus. Es bleibt dennoch die Frage: Folgt die Branche mit ihrem (Über-)Angebot nur dem unstillbaren Hunger der Kund:innen oder werden wir umgekehrt zu einem absurden Überkonsum getriggert? So oder so: Wir müssen dringend aufhören, so viel zu kaufen. Wenn wir als Konsument:innen den Labels zeigen, dass der Bedarf an dermaßen vielen Produkten nicht da ist, werden sie gezwungen sein, weniger zu produzieren. Damit senkt sich der Druck auf Designer:innen, ständig und pausenlos zu produzieren, ihre Kreativität hat mehr Raum, sich zu entfalten. Die Brands selber haben, wie alle Unternehmen, nur Wachstum und Expansion als Ziel – von ihnen darf also nicht erwartet werden, dass ein Umdenken stattfindet.