Alle paar Jahre ziehen Ulla und Mathias Jahn um, erneuern ihre Einrichtung fast komplett. Gerade haben sie einen Bungalow aus den 1970er-Jahren gekauft und komplett transformiert. Die Experten für Vintage-Design, das sie in die ganze Welt verkaufen, haben ihre gesamte Expertise in eine expressive Einrichtung einfließen lassen.
Als Ulla und Mathias Jahn den Garten des Bungalows in der Nähe von Frankfurt sahen, war es um sie geschehen – „wie ein Gemälde“. Vor rund vier Jahren haben die beiden Vintage-Design-Händler damit das Kapitel Hamburg geschlossen und sind an den Main gezogen, wo Mathias geboren und aufgewachsen ist. Eingepackt haben sie allerdings nur wenig, denn ihr Prinzip ist radikal: Alle paar Jahre ziehen sie um und erneuern ihre Einrichtung fast komplett. Das liegt sicher auch in der Natur ihres Jobs – wer ständig mit schönen Dingen dealt, will Abwechslung. Wie ihre bisherigen Bleiben – etwa eine alte Kutschenremise am Starnberger See oder ein Loft aus Sichtbeton in Hamburg – zeugt auch der Bungalow aus den 1970er-Jahren vor allem von der Freude am Experiment und am Leben.
LOCKED DOWN IN FRENCH COUNTRY STYLE
Von außen ist kaum zu erkennen, was sich hinter den Mauern des eingeschossigen Bungalows verbirgt. Brav steht er am Ende einer Bungalowsiedlung – der Vorbesitzer war selbst Architekt und hat diesen und weitere Bungalows der Siedlung gebaut. Das Paar hat das Haus aus Altersgründen verlassen. Heute würden sie ihr altes Zuhause wahrscheinlich kaum wiedererkennen: Ulla und Mathias Jahn haben den französischen Landhaus-Stil komplett transformiert. Alles musste raus. Der Boden, die Türen, die Küche, und, und, und. Die Herausforderung: Der Umbau fiel mitten in die Pandemie. Ursprünglich wollte das Paar, das seit über 25 Jahren verheiratet ist, in dieser Zeit im Hotel wohnen. Doch dann kam plötzlich alles anders. „Wir haben uns angeschaut und gesagt: Lockdown im Hotelzimmer, ich weiß nicht“, erzählt Ulla Jahn. Kurzerhand zogen sie in den noch unrenovierten Bungalow, rein in die französische Landhausoptik. „In der Geschirrspülmaschine standen noch Gläser.“ Eine besondere Erfahrung – „liebevoll“ sei die Einrichtung der Vorbesitzer gewesen, so Ulla.
VINTAGE-DESIGN PARADISE
Ulla und Mathias lieben jede Ecke in ihrem Haus – und können begeistert über Kunst, Einbauten, Bodenbelag, Türklinken, Schiebetüren oder das Oberflächen-Material der Küche reden. Alles haben die Interior-Spezialisten bedacht ausgesucht und beeindruckend zusammen komponiert. Viele Stücke stammen aus den 1970er- und 1980er Jahren – wie etwa das grüne Sofa von Jean-Michel Wilmotte, das der französische Designer eigens für den Louvre geschaffen hat. Ihr viertes Sofa in 20 Jahren, wie Mathias bemerkt. Oder Leuchten aus der Memphis-Ära, dem verspielten italienischen Design der 1980er-Jahre von Designern wie Mario Botta oder Ettore Sottsass. Überhaupt gibt es hier viel zu entdecken – allein die Kunst spricht Bände und ist mit vielen persönlichen Interessen und Erfahrungen des Paars verknüpft. Etwa das große Bild am Esstisch, eine Fotografie von Florian Borkenhagen, welche die Dockwand der Hamburger Schiffswerft Blohm & Voss zeigt. Die Mickey Mouse des Hamburger Grafikers und Künstlers Eike König, zusammengesetzt aus Logos bekannter Marken, hat es Mathias, einem ausgewiesenen Markenexperten, besonders angetan. Ein Liebling von Ulla ist die Installation über der Kommode von Ferdinando Meccani aus den 1960er-Jahren – das einzige Stück, das sie überall mit hinnehmen. Für die grafische Arbeit aus unterschiedlichen Metallfolien reiste der Künstler Burkhard Schittny extra an und breitete sein Material über einen Tag im gesamten Wohnzimmer aus, um das Kunstwerk passend zum Ort zu kreieren. Blickt man durch das große Panoramafenster in den Garten, glaubt man in einem Paradies zu sein – ein Kleinod, in dem sich Ulla und Mathias gerne aufhalten und den Stress des Alltags vergessen.
Also mit Butzenscheiben hätten wir ein Problem. Ulla und Mathias Jahn
TREASURE HUNTERS
Ulla sprüht vor impulsivem Tatendrang, Mathias ist eher der Besonnene. Gemeinsam ist beiden, dass sie eine unheimlich positive Ausstrahlung haben, die sich auch in ihrer Einrichtung widerspiegelt. Ulla und Mathias lernten sich in den 1990er-Jahren in der Hamburger Werbeszene bei der renommierten Agentur Jung von Matt kennen. „Wir saßen uns gegenüber, nur durch eine Glasscheibe getrennt, und schrieben uns die ganze Zeit SMS“, sagt Ulla lachend. Nach verschiedenen Stationen – unter anderem am Starnberger See, wo Ulla ihren ersten Laden für Vintage-Design eröffnete – arbeiten sie heute zusammen. Unter dem Namen „antibeige“ bieten die beiden edle Vintage-Design-Klassiker aus den letzten einhundert Jahren an. Ein Geschäft, das vor allem in den USA und Asien floriert. „In Deutschland gibt es auf diesem Level nur wenige Kunden“, so Ulla. Mathias schreibt die Texte und kümmert sich ums Marketing. Man könnte die beiden schon fast als Design-Jäger bezeichnen. Urlaub verbinden die beiden meistens mit ihrem Beruf. Oft brechen sie mit ihrem Mercedes Kleintransporter nach Italien, Frankreich, Holland oder Belgien auf, um dort auf Vintage-Märkten nach Schätzen zu suchen. Natürlich besuchen sie auch spezielle Messen und Auktionen. Da kann auch schon mal ein Set Stühle von Jean Prouvé, einem französischen Designer, dessen Entwürfe die 1950er-Jahren prägten und der seit zehn Jahren eine Renaissance erlebt, Hunderttausende Euro kosten. Die Szene ist klein, man kennt sich. Zu den Kunden gehören auch das französische Modehaus Celine oder der Chefdesigner von Gucci. Vom Lager in Frankfurt werden die Objekte in die ganze Welt verschickt.
COOL IN THE SOUTERRAIN
Wenn sie mal nicht gerade unterwegs sind, um ihrem Lieblingshobby nachzugehen, verbringen sie die meiste Zeit in ihrem Bungalow, der gleichzeitig auch als Office fungiert. Im Souterrain haben sie sich ein Büro eingerichtet, wo sich Ulla und Mathias den lieben langen Tag aufhalten, umgeben von Kunst und jeder Menge Bücher. Anfangs hatten sie auch noch eine kleine Galerie unmittelbar am Dom, die allerdings zu klein für die vielen großen Möbelstücke war. Das Geschäft laufe sowieso vor allem online. Ob ihnen nicht der Kontakt zu den Menschen fehle? „Mathias reicht mir“, sagt Ulla und zwinkert. Im Souterrain sei es im Sommer schön kühl, deshalb würden sie dort auch ab und zu schlafen. Die eigentlichen Schlafzimmer im Obergeschoss sind im Gegensatz zum restlichen Interior zurückhaltend gestaltet. Alles versinkt in beruhigendem Grau, ganz ohne Bilder, eine Atmosphäre zum Abschalten vom bunten Alltag. Manche würden sagen, dass sich die beiden hier einen Lebenstraum erfüllt haben. Ulla und Mathias denken aber schon weiter: Sie träumen von einem Landhaus in Frankreich. Dafür würden sie den Bungalow mit dem gesamten Interieur inklusive der Kaffeetassen verkaufen. Das schafft dann Platz für neue Vintage-Designstücke und Geschichten.