Obwohl Frauen die Mehrheit an deutschen Kunsthochschulen bilden, ist es für Künstlerinnen durchaus schwieriger, sich auf dem Kunstmarkt und den Institutionen durchzusetzen. Gerade in Frankfurt und Rhein-Main leben viele junge Künstlerinnen mit ausgesprochen spannenden Œuvres. Unter ihnen ist Christina Kral, die unlängst eine Förderung der renommierten Pollock-Krasner Foundation erhalten hat. Heike Strelow sprach mit der Künstlerin über Heldenverehrung und die unbeirrbare Lee Krasner.
Christina, du hast einen Grant von einer amerikanischen Stiftung erhalten, die von Lee Krasner ins Leben gerufen wurde – einer Frau, die, nachdem sie jahrelang die Karriere ihres Manns, Jackson Pollock, förderte, erst im Laufe ihres künstlerischen Lebens dem eigenen künstlerischen Schaffen mehr Raum gegeben hat. Dies war für diese Generation nicht untypisch, doch wie sieht es bei den heutigen Künstlerinnen aus. Müssen auch diese noch lernen, sich mehr Sichtbarkeit zu verschaffen?
„Jackson Pollock und Lee Krasner wurden während der Great Depression durch ein Federal Art Project der Roosevelt New Deal Administration fast zehn Jahre lang finanziell unterstützt. Damals konnten tausende Künstler:innen ihrer Arbeit ohne den Erfolgsdruck des Marktes nachgehen und waren so in der Lage, neue Ausdrucksformen zu entwickeln, die im Falle der beiden im Abstract Expressionism mündeten. Diese Erfahrung war für Krasner so nachhaltig, dass sie später die Pollock-Krasner Foundation ins Leben rief, um zukünftigen Kunstschaffenden einen ähnlichen, zeitlich begrenzten Freiraum zu bieten.
Was die Sichtbarkeit betrifft, sind nicht nur die Frauen gefragt, sondern genauso die Gesellschaft und die Gatekeeper, die Sichtbarkeit ermöglichen oder verhindern, und entscheiden, ob jemand in die Kunstgeschichte eingeschrieben wird oder nicht. Lee Krasner war zeitlebens künstlerisch aktiv, aber ab dem Moment, wo sie sich zusätzlich noch um ihren alkoholkranken Mann kümmerte, aus der Stadt zog und nach seinem Tod seinen Nachlass organisierte, wurde sie vorwiegend als Pollocks Ehefrau beziehungsweise Witwe gesehen und nicht mehr als Künstlerin. Mittlerweile weiß man um die wichtige Position, die sie in der Kunstgeschichte einnimmt und kann sie nicht mehr wegdenken. Und das wird die nächsten Generationen von Kunst- und Kulturschaffenden prägen.“
Viele von Alemanis ausgewählten Werken, aber auch die Gesamterzählung der Ausstellung „Milk auf Dreams“ ziehen die Betrachter:innen durch ihre kaum mit Worten zu beschreibenden Zwischentöne in ihren Bann und fordern Achtsamkeit von ihren Rezipient:innen. Sind das nicht genau die Momente, die auch dich als Künstlerin interessieren?
“Absolut! Ich nenne es Aufmerksamkeit oder Offenheit; es gleicht der inneren Haltung eines Anfängers. Man begegnet etwas Neuem, ist offen, zugewandt, aufmerksam und lässt neue Impulse und Herangehensweisen zu. Es kostet Überwindung, Unwissen zuzulassen und mit dem Bewusstsein umzugehen, dass man einiges zu lernen hat. Für meine künstlerische Arbeit ist diese Haltung sehr hilfreich. Wenn man zum Beispiel an einem neuen Ort ist, schaut man anders, orientiert sich erstmal, stellt Fragen, hört zu. In diesen Momenten sieht man seine Umgebung und sich selbst in neuem Licht. Es geht darum, dass man bereit ist, Gelerntes zu verlernen und neue Erkenntnisse zuzulassen und diese als bereichernd zu empfinden und nicht als Bedrohung.“
In deiner jüngsten malerischen Serie „Dawn“ greifst du auf Homers Odyssee zurück. Doch du thematisierst nicht das Heldenepos, sondern das sich durch das Werk ziehende Thema der Morgenröte.
„Ich habe dafür die englische Übersetzung von Emily Wilson gelesen und war gleichermaßen von dem Epos inspiriert wie von ihren Gedanken, die der Übersetzung der Odyssee vorangegangen sind. Die Morgendämmerung ist ein wiederkehrendes Motiv. Wiederholung ein wichtiges formales Mittel, das das mündlich vorgetragene Werk strukturiert und die Geschichte vorantreibt. Sie bietet den Zuhörer:innen Orientierung und Vergewisserung. Für ein lesendes Publikum allerdings ist eine wortwörtliche Wiederholung ermüdend und wirkt wie Einfallslosigkeit auf Seiten des Autors. Wilsons Überlegungen haben mich dazu inspiriert, einen abstrakten Malzyklus anzufangen, der mit sich wiederholenden Abläufen und kleinen Abweichungen ganz unterschiedliche Bilder und Malprozesse hervorgebracht hat.“
Es geht darum, dass man bereit ist, Gelerntes zu verlernen und neue Erkenntnisse zuzulassen und diese als bereichernd zu empfinden und nicht als Bedrohung. Christina Kral
Das Moment der Achtsamkeit zieht sich wie ein roter Faden durch dein Werk. Das betrifft nicht nur deine Arbeiten zu dem komplexen Thema des „Gardening“, sondern auch bei etwas älteren Arbeiten, die explizit den gesellschaftspolitischen Diskurs betreffen, liegt dein Augenmerk auf dem, was zwischen den Zeilen zu lesen ist. Wie würdest du dein zentrales künstlerisches Anliegen beschreiben?
„Der Prozess steht im Zentrum meiner Arbeit. Und da ist Achtsamkeit, also intensiv zu beobachten, ohne zu werten, ein wichtiges Element. Denn nur dann können sich Prozesse frei entwickeln und Dinge hervorbringen, die man nicht schon durch Methode oder Vorurteil antizipiert hat. Erst im späteren Verlauf geht es um das bewusste Eingreifen, Editieren, Abwägen und Entscheiden. Neben der Malerei entwickle ich auf diese Weise auch Skulpturen, Assemblagen und Installationen. Bei meiner Reihe ‚Proposals‘ zum Beispiel arbeite ich vorrangig mit gefundenem Material oder Objektfragmenten. In der neuen Anordnung und Kombination rücken andere Dinge in den Fokus und es werden neue Lesarten möglich. Die ‚Proposals‘ sind eine Suggestion, sie zeigen was wäre, wenn wir die Dinge neu sehen könnten.“