Haute Couture ist Fashion nach Kriterien, über die die Industrie- und Handelskammer von Paris streng wacht. Ultimativer Luxus für einen winzigen Kundenstamm - und dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, wird die heiligste aller Modedisziplinen von allen bewundert. Expertin Alessandra Frank erklärt den komplexen Begriff, bei dem es um mehr als originelle Designs und handwerkliche Perfektion geht.
FROM TAILORS TO ARTISTS
Als Begründer der Haute Couture gilt der Brite Charles Frederick Worth: Mitte des 19. Jahrhunderts machte er Schneider:innen zu mehr als nur Hersteller:innen funktionaler Kleider - sie wurden zu wahren Künstler:innen. Worth kreierte Designs, die er an Models in seinem Atelier präsentierte. Seine wohlhabenden Kund:innen durften erstmals die Farben, Stoffe, Muster und Verzierungen aussuchen, anschließend wurde das entsprechende Kleidungsstück exklusiv für sie maßgefertigt.
Der Begriff Haute Couture ist in Frankreich - ähnlich wie Champagner - seit 1908 gesetzlich geschützt. Die Industrie- und Handelskammer von Paris legt bis heute fest, wer seine Kollektionen Couture nennen darf. Strenge Kriterien gilt es zu erfüllen: Kreationen müssen auf Bestellungen für private Kund:innen mit mindestens einer Anprobe maßgeschneidert werden, das Modehaus muss in Paris über ein Atelier mit mindestens 15 Vollzeit-Angestellten verfügen, mindestens 20 weitere Mitarbeiter:innen sind für den technischen Aspekt der Herstellung verantwortlich. Schließlich muss das Haus zweimal jährlich jeweils nicht weniger als 25 Originaloutfits präsentieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, darf eine Marke offiziell Couture herstellen.
TODAY'S CUSTOMERS
Nachdem ab den 1930er-Jahren Ready-to-Wear - meist in Massenproduktion, serienmäßig und in Standardgrößen hergestellte Kleider - angeboten wurden, sank allmählich die Bedeutung von Couture. Die anspruchsvollen Richtlinien der Pariser Kammer, die extrem arbeits- und zeitintensiven Praktiken und vor allem die horrenden Preise machen Couture für die Mehrheit der Menschen absolut unerreichbar. Ein aktuelles Beispiel: Eine Robe von Giambattista Valli herzustellen, dauert 460 Stunden, dabei werden oft an die 9.000 Meter Stoff verbraucht. Der italienische Designer entwirft für das schmalere Portemonnaie auch tragbare Alltagskleidung. Hatten im 19. Jahrhundert ausschließlich Mitglieder des europäischen Adels die finanziellen Mittel, sind es heute wohlhabende Kund:innen aus den USA, China, Russland und vor allem dem Nahen Osten. Es ist eine elitäre Gruppe von weltweit etwa 4.000 Menschen, die über das Vermögen verfügen, ohne Zögern 40.000 Euro und (wesentlich!) mehr für eine einzige Robe auszugeben.
FROM ART TO PROMO
Moderne Haute Couture-Shows sind nicht dafür konzipiert, Kleider zu verkaufen. Möglichst Instagram-freundlich dienen sie heute vor allem der Stärkung der Markenstrahlkraft und zu Werbezwecken. Die Marken, die noch Couture herstellen, können damit schon lange kein Geld mehr verdienen. Die Aura, die Couture jedoch ausstrahlt, hilft dabei, diejenigen Produkte zu verkaufen, mit denen der eigentliche Umsatz gemacht wird; beispielsweise Accessoires, Taschen, Parfüm, Schuhe und Kosmetik. Dieser etwas zynischen Markenlogik zum Trotz freuen sich Mode-Fans immer wieder auf die neuesten Couture-Kollektionen und verfolgen sie mit angehaltenem Atem. Das Metier bleibt ein fabelhaftes Labor für grenzenlose Kreativität, in dem frei von finanziellen oder technischen Sorgen die kühnsten Designs und Innovationen erstellt werden.