Frischer Wind am Kiedricher Berg: Mit dem Einzug der neuen Generation ins Unternehmen hat das historische Gutshaus des Weinguts Robert Weil einen neuen Anstrich bekommen. Marie-Charlotte Weil ist eine behutsame Modernisierung gelungen, wie unser Autorin Katharina de Silva bei einem Rundgang durchs geschichtsreiche Zuhause sehen konnte.
Die Weinlese am Kiedricher Berg ist in vollem Gange. Immer wieder fahren Traktoren vor, die Anhänger randvoll mit goldgelben Trauben. Der Duft von Maische liegt in der Luft. Die Profis riechen es bereits: Der 2023er Riesling verspricht, ein guter Jahrgang zu werden. “Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben”, sagt Wilhelm Weil schmunzelnd. Der Mann weiß, wovon er spricht: Seit 1987 leitet der Winzer das renommierte Weingut in vierter Generation. Unter Weinkenner:innen gilt es weltweit als Symbol für die herausragende deutsche Riesling-Kultur. Jetzt steht die nächste Generation in den Startlöchern: Marie-Charlotte Weil und ihr Bruder Robert sind vor einigen Monaten in den Betrieb eingestiegen. “Jede Generation soll hier ihre Spuren hinterlassen”, erklärt Wilhelm Weil. “Mir war es wichtig, dass meine Kinder gleich zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn damit beginnen dürfen.”
LOVELY 19TH CENTURY ARCHITECTURE
Das erste große Projekt, dem sich Marie-Charlotte Weil im Unternehmen widmete, war die Neugestaltung des repräsentativen Gutshauses. “Der Mittelteil wurde 1857 von Baronet John Sutton im englischen Tudorstil erbaut”, erzählt sie. Sutton war ein britischer Adliger und Kunstmäzen, den seine Liebe zur Gotik Mitte des 19. Jahrhunderts nach Kiedrich verschlagen hatte. “Nach seinem Tod erwarb mein Ur-Urgroßvater das Anwesen und baute hier sein Weingut auf.” In den folgenden Jahren ergänzte Dr. Robert Weil das Gebäude 1878 zunächst um den repräsentativen Fachwerkbau an der Südseite und 1906 um einen neugotischen Steinbau. Über drei Generationen wohnte die Winzerfamilie selbst im Gutshaus. Heute stehen die Räumlichkeiten im Erdgeschoss auch einem erlesenen Kreis an Gästen und Kund:innen offen. “Einmal im Jahr kommen Importeur:innen und Weinjournalist:innen aus aller Welt zu uns, um den neuen Jahrgang zu verkosten”, erläutert Wilhelm Weil. “Es ist uns wichtig, diese Menschen sehr individuell und persönlich zu empfangen und zu bewirten. Viele sind über die Jahre zu Freunden geworden.”
MODERN MANOR KITCHEN
Wir beginnen unseren Rundgang durch das “Manor House” auf der Südseite. Ein langer Flur führt uns vorbei an Menükarten aus einer Zeit, als Dr. Robert Weil Hoflieferant des deutschen Kaiserhauses war. Auch das russische Zarenhaus und das englische Königshaus schätzten einst die edlen Tropfen des Weinguts. Eingestimmt auf royale Kulinarik und Tafelkultur, betreten wir die Küche – das Herzstück des alten Gutshauses und der eigentliche Grund für den Umbau. “Die frühere Küche war rein funktional und nur darauf ausgelegt, Speisen zuzubereiten”, erzählt Wilhelm Weil. “Wir wollten daraus eine wohnliche Lifestyle-Küche machen, in der man gerne mit Freunden kocht und isst.” Auf die Effizienz und die Abläufe einer leistungsfähigen Großküche wollte der Gutsdirektor dennoch nicht verzichten – schließlich sind hier regelmäßig Sterneköch:innen am Werk. Hier kam Peter Bruns ins Spiel: Der ehemalige Geschäftsführer von Gaggenau kennt sich mit Hightech-Küchengeräten bestens aus. Gemeinsam mit seiner Partnerin Tina Müller, Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Küchenhaus Süd in Frankfurt Sachsenhausen, realisierte er in der ehemaligen Gutsküche einen perfekten Dreiklang aus Design, Funktion und Emotion.
LIGHTING MOOD
Im Zuge des Umbaus wurden zwei kleinere Räume zu einem 45 Quadratmeter großen L-förmigen Raum zusammengelegt. Für noch mehr Großzügigkeit wurde die ehemals abgehängte Decke um einen halben Meter nach oben geöffnet. Eine Kochinsel mit Keramikoberfläche geht heute über Eck in einen Tisch über, an dem bequem acht Gäste Platz finden. “Beim gemeinsamen Kochen genießen wir hier gern schon das eine oder andere Gläschen”, freut sich Marie Weil. Das ausgeklügelte Lichtkonzept mit fünf kreisrunden Leuchten der Firma Occhio bietet dafür die perfekte Lichtstimmung. Besonderes Augenmerk galt den eingebauten Hightech-Geräten: Zwei Weintemperierschränke bieten Platz für sämtliche Jahrgänge der Weil’schen Rieslinge und schützen sie bei exakter Temperatur. Konvektomaten, Mikrowellen-Kombibacköfen und Multifunktionsschubladen ermöglichen es, auch mehrgängige Menüs auf den Punkt zuzubereiten. Die Materialität im Raum nimmt an vielen Stellen Bezug auf die Lebenswelt der Winzer:innen: Die Eichenfronten der Hochschränke erinnern an Weinfässer, der Edelstahl der Geräte an Tanks im Weinkeller.
Diese Küche entspricht in ihrer Wertigkeit dem Modell meiner Großeltern von 1924. Sie wurde mit dem Anspruch an Zeitlosigkeit und Beständigkeit geplant und soll in dieser Form für die nächsten 50 Jahre erhalten bleiben. Wilhelm Weil
GOBELIN ROOM IN GREEN
Von der Küche gelangen wir in einen großbürgerlichen Raum, der als Frühstücks- und Besprechungszimmer genutzt wird. Das charakteristische Tiffany-Blau der Weil-Etiketten sucht man hier vergeblich. Die Wände sind in zartem Lindgrün gehalten, an zwei Seiten hängen flämische Wandteppiche aus dem 17. Jahrhundert. “Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, unsere privaten Räume zu branden”, sagt Marie-Charlotte Weil. “Vielmehr wollten wir die historische Farbigkeit wiederherstellen." Um einen ovalen Tisch stehen acht organisch anmutende Stühle der Marke Spalli, deren filigrane Armlehnen aus Nussbaum an Weinreben erinnern. Wie pralle Trauben hängen darüber zwei Pendelleuchten aus mundgeblasenem Glas. Die fein orchestrierten Anspielungen auf das Leben im Weinberg zeigen, mit welcher Sorgfalt die junge Winzerin und Betriebswirtin die zeitgenössischen Leuchten und Möbel ausgewählt hat. Wann immer es darum ging, sie mit antiken Stücken zu kombinieren, zog Marie Weil ihren Vater zu Rate. “Er hat mehr Bezug zu den alten Möbeln, weil er mit ihnen aufgewachsen ist”, weiß sie. Wilhelm Weil war es auch, der dem Barometer seines Urgroßvaters einen prominenten Platz neben dem Esstisch gab.
SUTTON SALON WITH AN „EGG“
Weiter geht es in einen Raum mit historischer Balkendecke und prachtvoll vertäfelten Wänden. Er wurde nach Baronet John Sutton benannt, der einst diesen Teil des Hauses erbaute. Lindgrüne Wände und schwere, tannengrüne Vorhänge verleihen ihm eine naturnahe, warme und edle Atmosphäre. “Es war eine echte Herausforderung, diesen Raum zu gestalten, weil durch die antiken Möbel schon vieles vorgegeben war”, sagt Marie Weil. Schließlich habe sie ihn um das Sofa herum gestaltet, auf dem sich schon ihr Ur-Urgroßvater nach einem Tag in den Weinbergen entspannte. Vor dem geschichtsträchtigen Möbel steht heute ein Ensemble aus runden und ovalen Beistelltischen von Molteni & C. Zeitgenössisches italienisches Design findet sich im Gutshaus an vielen Stellen. "Der italienische Einfluss geht auf meine Ur-Urgroßmutter zurück, die eine Edle von Vacano war", so Marie-Charlotte Weil und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Aber davon abgesehen machen die Italiener auch wunderbares Design.” Der schmale Nebenraum mit den charakteristischen Butzenscheiben war einst das Dienstbotenzimmer des Baronets. Wo früher nur ein Bett und vielleicht ein Nachttisch standen, bilden heute zwei edle Beistelltische aus flaschengrünem Muranoglas einen wunderbaren Kontrast zu den ikonischen Egg Chairs aus orangerotem Tweet vom dänischen Hersteller Fritz Hansen. ”Mein Vater liebt diese Sessel”, sagt die Winzerin. “Sie waren das einzige Möbelstück, das er sich bei der Umgestaltung explizit gewünscht hat.” Mit Fritz Hansen verbindet das Weingut eine langjährige Markenpartnerschaft.
GARDEN ROOM
Unser Rundgang endet in einem herrschaftlichen Speisesaal, der einen malerischen Blick in den Garten bietet. Florale Deckenmalereien, typisch für die Epoche des Art Nouveau, verleihen dem Raum eine fast erhabene Energie. Der Kronleuchter aus geschliffenem Kristallglas stammt ebenfalls aus dem Erbauungsjahr und hängt seit jeher hier. Lediglich die Stoffverkleidung, zu Urgroßvaters Zeiten noch purpurrot, musste vor einigen Jahren einer beigefarbenen weichen. Passend dazu wurden die dänischen Designer-Stühle mit cremefarbenem Leder bezogen.
Altes zu bewahren und trotzdem, wie jede Generation zuvor, neue Akzente zu setzen, das Kunststück ist Marie-Charlotte Weil bei der Umgestaltung ihres Gutshauses vortrefflich gelungen. Und damit ist ihr Zuhause gleichsam die Quersumme aus dem, was das weltberühmte Weingut seit seinen Gründungsjahren ausmacht.