FOTOGRAFIN BARBARA KLEMM

Ob Frankfurter Wasserhäuschen oder Brandenburger Tor – Barbara Klemm hat die großen wie die kleinen Dinge fotografiert. Weltgeschehen, prominente Persönlichkeiten – und das, was am Rande lag. Im Vorfeld einer großen Werkschau beleuchtet Marc Peschke ihre Einzigartigkeit.

Barbara Klemm hatte Glück als Fotografin, wie sie immer betont hat: „Alles, was ich kann, habe ich durch das Leben gelernt. Ich hatte das Glück, mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so viele interessante Themen umsetzen zu können. Ich habe mich immer verausgabt und versucht, das Beste zu geben.“ Doch was ganz schlicht klingt, ist oft, sehr oft, harte Arbeit.

Immer hat sie Schwarzweiß fotografiert. Und immer ohne Blitz. Porträts. Landschaften. Immer mit einem sehr genauen Sinn für Komposition. Für Ausschnitte. Manche von Barbara Klemms Arbeiten sind weltweit bekannt geworden, sind Ikonen der Fotografie, wie etwa das 1973 in Bonn fotografierte Bild von Willy Brandt und Leonid Breschnew bei der Aushandlung der Ostverträge – zwei Politiker, umgeben von Übersetzern, Beratern und Fotografen. Ein Bild, das einen wichtigen Moment der bundesrepublikanischen Geschichte einfängt. Ein fotografisches Denkmal der Ostpolitik.

FROM A GOOD HOME

Barbara Klemm, die 1939 in Münster geboren wurde – aber seit so vielen Jahren in Frankfurt lebt, dass sie als Frankfurterin gilt – ist eine der bedeutendsten deutschen Fotografinnen unserer Zeit. Sie kommt aus einem Künstlerhaushalt: Ihr Vater war der Maler Fritz Klemm, Professor an der Karlsruher Akademie. Die Mutter Antonia, Gräfin von Westphalen, wirkte als Bildhauerin. 1955 begann Barbara Klemm im Karlsruher Fotoatelier von Jule Bauer eine Fotografenlehre. 1958 machte sie ihre Gesellenprüfung und kam schon 1959 – mit 20 Jahren – nach Frankfurt zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo sie zuerst im Fotolabor arbeitete. Bis 1970 arbeitete sie frei und fotografierte etwa die wilden Jahre der Frankfurter Studentenbewegung mit den Protagonisten Adorno und Horkheimer, die Aktionen der Studierenden oder auch den NPD-Bundestagswahlkampf im Juli 1969. Von 1970 bis 2005 arbeitete sie als Redaktionsfotografin der FAZ im Bereich Politik und Feuilleton, fotografierte vor allem für die vor einigen Jahren eingestellte Tiefdruckbeilage – machte Bilder, die sich stets dadurch auszeichneten, dass sie das Leben im Großen, wie im Kleinen einfingen.

HITCHCOCK, ANDY WARHOL & GORBATSCHOW

Als „fotografisches Gedächtnis“ der Bundesrepublik gilt Barbara Klemm, über die Durs Grünbein etwas Interessantes geschrieben hat: „Sie hat die Großen und die noch viel Größeren porträtiert, aber nie sieht man bei ihr Giganten, sondern immer nur Sonderlinge an ihren Arbeitsplätzen, kauzige oder quirlige Wesen in den verschiedenen Stadien der Selbstbehauptung.“

Und so mäandert ihr Werk zwischen jenen Polen des Skurrilen und Weltbewegenden. 1972 fotografiert sie Alfred Hitchcock auf seinem Regiestuhl in der Frankfurter Bahnhofshalle, dann drei namenlose Schläfer in einem Park – vereint in der gleichen Haltung. Mal zeigt sie Joseph Beuys beim Aufbau einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, dann einen halbnackten Musiker mit Cowboyhut an einer Straßenecke in Manhattan oder Wolf Biermann bei einem Auftritt in der Kölner Sporthalle. Drei Tage später wurde er aus der DDR ausgebürgert. Sie hat ihren eigenen Vater als Rückenansicht fotografiert, abgewandt von seiner Staffelei, aus dem Fenster blickend. Oder Andy Warhol vor Tischbeins Gemälde „Goethe in der Campagna“ im Städel Museum. 1989 bekommt sie Michail Gorbatschow während des 40. Jahrestags der DDR in Ostberlin vor die Linse.

KEY PHOTOS

Was zeichnen ihre Fotografien aus? Der Sinn für Komposition, das Gespür für große Porträts, der Blick für das Wesentliche ist es, der Sinn für „Schlüsselbilder“ auch, wie ab dem 9. November (bis April 2024) die Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt noch einmal offenbart. Rund 250 – auf Baryt abgezogene – Fotografien dokumentieren die politische Geschichte Deutschlands auf bisweilen humorvolle, aber stets diskrete und sehr stilsichere Art und Weise, zeigen viel Sinn für Nuancen und Feinheiten. Stets sind sie in Schwarzweiß, analog, ohne Blitz fotografiert. Farbfotografie war nie ihr Medium, sagt Barbara Klemm.

Tief verwurzelt ist Klemm in der Stadt Frankfurt, wo sie immer noch lebt und seit 2010 auch als Mitglied im Kuratorium des Kulturfonds FrankfurtRheinMain wirkt. „Sie war ja gar nicht zuständig für Frankfurt, sondern hat auf der ganzen Welt fotografiert“, sagt Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums und Kurator der Ausstellung. „Aber sie hat immer hier gelebt und die Stadt als Zeitgenossin begleitet.“