FABULOUS HOMELAND

Ein viele Jahre leerstehendes Penthouse wird zur Bühne für ein erlesenes Interieur – hier flirten die Siebziger Jahre mit einem zeitgenössischen, für Frankfurt untypischen Farbkonzept. Für einen deutschen Unternehmer, der das extravagante Duplex-Refugium in Auftrag gab, ist es der dritte Wohnsitz, er reist eben viel.

CARTE BLANCHE

Wenn ein Haus fast zehn Jahre unbewohnt ist, zeigt selbst die einst beste Bausubstanz Ermüdungserscheinungen. Vielleicht ein gutes halbes Jahrhundert ist das Haus im Westend alt und was seinerzeit High End war, erwies sich schließlich vor zwei Jahren als das sprichwörtliche Fass ohne Boden. Leitungen, Ventile, die Lichtanlagen – kaputt oder extrem veraltet. Und auch die Fußbodenheizung hatte den langen Stillstand übel genommen. Obwohl in den 90ern revitalisiert, stand der Käufer einem maroden Stückwerk aus verschiedenen Dekaden gegenüber – praktisch alles musste sich hier neu erfinden. Er gab dem Innenarchitekten Clemens Hummel und seinem Team von P22 Interior Design eine Carte blanche, das heißt, absolut freie Hand, eine weiße Leinwand gewissenmaßen – von der technischen Modernisierung über die Möbel und Tapeten bis hin zur Bettwäsche und den Accessoires. Einzige Vorgabe, die überraschte: „Wir wollten Farbe! Modern mit schlichter Formensprache, bloß kein einheitliches Grau oder Beige.“ Letzteres ist sonst die Regel, wenn sich Gutsituierte in Frankfurt ein Nest oder ein hotelähnliches Zuhause bis ins allerkleinste Detail und bezugsfertig einrich-ten lassen.

STAIRWAY TO LUXURY

Ein hartnäckiger Charakter, diese Treppe. Sie ist ein Relikt aus der Erbauungszeit und führt heute von einer riesigen Wohnhalle ins obere Stockwerk – der gefühlte Anker für die insgesamt 200 Quadratmeter Wohnfläche. Oben, wo auch die Küche und der Essbereich sind, tut sich noch eine 100 Quadratmeter große Terrasse auf. Die imposante Treppe aus Holz ließ sich, da fest aufgesetzt, nicht verändern, nur relativieren, und erhielt ein transparentes Geländer. Bei den großen Partys, die man hier gern feiert, beweist sie ihr kommunikatives Talent, denn die Stufen werden zu später Stunde zum lässigen Sitzen und Miteinanderplaudern genutzt.

SENSE AND SENSIBILITY

Nichts ist von der Stange in diesem sinnlichen Kosmos. Die Tapeten sind Kostbarkeiten zum Schwelgen, handgemalt auf Blattsilber im Eingangsbereich. Ein nach seltener Handwerkskunst mit feinstem Leder bezogenes Sideboard im Sixties Gentlemen Stil, dazu viele bronzierte Oberflächen, in denen sich das Licht wie auf ehrwürdiger Patina weich spiegelt. Sonderanfertigungen und clevere Einbauten, wohin man schaut. Überall herrscht aufgeräumte Gemütlichkeit, jedes Stück ist ein leises Ausrufezeichen. Spannung erzeugen die bewussten Kontraste von glatt und rau, weich und hart: Leder und Velourssamt, hochflorige Teppiche und Kristall. Die sonst üblichen Designklassiker, vom Eames Lounge Chair bis zu Arne Jacobsen-Raritäten, sucht man übrigens vergebens. Die hat schließlich jeder. Wahrer Luxus ist für die Bewohner das, was ausschließlich für sie erdacht und gefertigt wurde. Die drei Bell Coffee Table von Designer Sebastian Herkner und einige skulpturale Objekte des New Yorker Exzentrikers Jonathan Adler sind erklärte Ausnahmen und passen bes-tens ins Konzept dieses Homeland des Besonderen.

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BLUE BERRY

Frankfurter sind meist farbscheue Minimalisten, wenn es um ihren Loft oder das Penthouse geht. Das ist ein Phänomen, kein Vorwurf. Unser Gastgeber entschied sich dagegen für eine gestalterische Farbpalette aus schmeichelnden Pflaumen- und Beerentönen sowie frischen Nuancen des blauen Wassers. Eine ungewöhnliche wie ästhetische Kombination, die Reminiszenzen an komfortable Clubs nicht leugnen kann und eine stimmungsvolle Atmosphäre in den sonst klar konstruierten Räumen erzeugt. In den Siebziger Jahren, als das Haus neu war, äußerte sich Extravaganz vor allem durch Formen und schrille Designs aus Kunststoff, die Science-Fiction-Filmen entsprungen schienen. Jetzt folgt das Haus neuen Maßstäben. Und in fünfzig Jahren werden es wieder völlig andere sein. Ganz gleich, was Extravaganz dann bedeutet, eines dürfte sicher sein: die Treppe bleibt der Anker.