Für Klima und Artenschutz wird die Zeit knapp. Gastautorin Gabriele Eick im Gespräch mit Dr. Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF), einer Naturschutzorganisation, deren Mission es ist, biodiversitätsreiche, intakte und ursprüngliche Wildnis-Gebiete zu erhalten.
Gabriele Eick: Was war der Auslöser, dass Du Dich für den Naturschutz entschieden hast?
Dr. Christof Schenck: „Das war im Alter von zehn Jahren. Ich bin aufgewachsen an den Hängen des Schwarzwalds, in einem ehemaligen Bauernhaus. Mein Vater war Kinderarzt und naturbegeistert. Unser Spielplatz war der Wald. Im Entdeckermodus ging der Radius von dem Haus weg in die Bächer und Wälder der Umgebung. Das war unglaublich spannend. Damals gab es weder Fernsehen, Computer, keine Smartphones. Die Ablenkung war die Natur. Der Gedanke reifte: ich will Biologe werden, ohne Vorstellung, was das eigentlich bedeutet. Ich wusste nicht einmal, dass man einen Numerus Clausus dafür braucht. Ich habe ganz viel Glück gehabt, diesen Weg so stringent verfolgen zu können.“
Hat man so jung schon so eine Naturwahrnehmung?
„Ja, schon, es ist abwechslungsreich – nasskalt, trocken, heiß, viel Schnee, es ist alles dabei. Dieses Naturbewusstsein reifte über die Zeit. Der nächste große Kontrapunkt war viele Jahre später die drei Jahre im peruanischen Regenwald, die mir noch einmal ein ganz anderes Naturverständnis vermittelt haben. Zurück aus Südamerika ist mir bei jedem Meter aufgefallen, dass dies alles vom Menschen über 2.000 Jahre gestaltet wurde. Und wenn man drei Jahre in Landschaften war, wo man 500 Kilometer in jede Richtung keinen Menschen trifft, dann merkt man erst, welchen massiven Einfluss wir auf diesen Planeten haben, wie wir die Natur verändert und im großen Teil auch zerstört haben.“
Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt wird häufig mit dem Zoo verwechselt, durch den wir jetzt gehen. Vielleicht ist zu wenig bekannt, was die Zoologische Gesellschaft weltweit leistet?
„Bereits 1858 ist die Gesellschaft von honorigen Personen unserer Stadt gegründet worden, typisch für das Frankfurter Bürgerengagement. Sie wollten einen Zoo für Frankfurt. Damals hatte nur Berlin einen Zoo. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) wurde als Aktiengesellschaft gegründet und der Zoo auf der Pfingstweide – damals eine Weide – angesiedelt. Dieser Zoo war erfolgreich bis zum Ersten Weltkrieg. Die ZGF hatte Zahlungsprobleme und die Folge war, dass 1915 der Zoo vollständig an die Stadt ging. Es folgte der katastrophale Zweite Weltkrieg mit einer fast vollständigen Zerstörung der Stadt und des Zoos. 1950 wurde die heutige ZGF als Zooförderverein wiedergegründet – und wird daher bis heute mit dem Zoo verwechselt.“
GRZIMEK‘S HERITAGE
Die Verwechslung ändert sich sicher mit diesem Interview. Wir müssen auch über Bernhard Grzimek sprechen …
„Nach 1945 kam Bernhard Grzimek nach Frankfurt und baute den Zoo neu auf. Er überzeugte erfolgreich die amerikanische Besatzungsmacht, dass Frankfurt einen weiter Zoo braucht und dass dieser nicht der Wohnbebauung weichen dürfte. Damals war es üblich, wilde, exotische Tiere irgendwo in der Welt zu fangen, um sie in einen Zoo zu bringen. Heute gibt es Zuchtprogramme, also man muss nicht mehr auf Wildfänge zurückgreifen. Diese Suche nach Tieren hat Bernhard Grzimek nach Afrika gebracht. Er war begeistert von diesen riesigen Naturlandschaften, diese Megafauna, diesen großen Tieren. Sehr visionär hat er deren Bedrohung gesehen und entschieden, dass wir da unseren Anteil leisten müssen – das ist jetzt über 60 Jahre her. So entstand eine neue Mission der ZGF.“
Und wie sieht die aus?
„Wir müssen diesen Ländern, den Menschen helfen, diese Natur so zu bewahren. Damals wurde ein Sonderkonto eingerichtet und 2001 entstand daraus unsere heutige gemeinnützige Stiftung ‚Hilfe für die bedrohte Tierwelt‘, die organisatorisch neben der ZGF steht; diese Stiftung hält den Kapitalstock, deren Erträgnisse eine Basisfinanzierung die Projekte des Vereins darstellen. Die ZGF ist heute in 18 Ländern auf vier Kontinenten aktiv. Etwa 1.500 Menschen arbeiten in den verschiedenen Projektregionen. Spenden, Mitgliedsbeiträge, Patenschaften und Erbschaften tragen maßgeblich zur Projektarbeit vor Ort bei. Unsere Mission: große biodiversitätsreiche, intakte und ursprüngliche Wildnis-Gebiete dieser Erde zu erhalten. Wir sehen, dass diese die wie das Eis in der Sonne wegschmelzen und sind der festen Überzeugung, die mit wissenschaftlichen Studien unterlegt wird: Wir brauchen diese Gebiete für unser eigenes Überleben. Das sind Gebiete mit sehr hohen Kohlenstoffspeichern, die ganz wichtig für den Wasserhaushalt sind, und die vor allem einen Schatz von Arten, Tieren und Pflanzen beheimaten.“
„I LIVED IN THE MANU NATIONAL PARK.“
Könntest Du am Beispiel Amazonien aufzeigen, welche Folgen die Rodungen haben?
„Das ist vielleicht das Krasseste und besorgniserregendste Beispiel auf der Welt, wo wir sehen, dass das Zerstören von Natur letztlich uns selber ins Ende führt. Amazonien hat den größten Regenwald der Erde, die größte Artenvielfalt. Beispiel: im Manu Nationalpark, wo ich auch gelebt habe, gibt es heute 1.030 Vogelarten, das sind zehn Prozent des Weltbestands, jede 10. Vogelart der Welt kommt in diesem Park vor. Dreimal so viel wie in Deutschland. Und das gilt aber auch für Tagschmetterlingsarten oder auch für Amphibien, Reptilien und so weiter. Dieser Nationalpark ist die Schatzkammer der Artenvielfalt. Der Regenwald heißt Regenwald, weil er Regen braucht. Ungefähr 30 Prozent der Niederschläge entstehen im System selbst. Man muss sich also vorstellen, es gibt sehr viele Blatt-Biomasse-Schichten. Es regnet und es ist dann auch noch heiß, es ist ja die Tropenzone: Regen verdunstet und fällt wieder als Verdunstungsniederschlag in dieses System. Wenn ich jetzt aber ein Gebiet rode, dann verdunstet ein Teil des Niederschlags nicht mehr, sondern fließt oberflächlich ab und steht als Verdunstungsregen nicht mehr zur Verfügung. Das heißt, diesem Wald fehlen dann 20 bis 30 Prozent der Niederschläge.
Was wäre die Folge?
„Der Regenwald stirbt! Regenwald gibt es erst ab 2.000 Millimeter Jahresniederschlag, darunter stirbt der Wald und verwandelt sich automatisch und unaufhaltsam in Savanne. Niemand in der Welt kann das aufhalten! Seit Jahrzehnten wird immer wieder gerodet und wir sehen auch letztes Jahr gigantische Waldverluste auf dieser Erde. Wir haben nicht nur Regenwald, sondern insgesamt über 60.000 Quadratkilometer Wald verloren, eine Fläche, größer als die Schweiz. In der Bolsonaro-Zeit haben wir im brasilianischen Amazonas über 40.000 Quadratkilometer Regenwald verloren. Jetzt nähern wir uns einem sogenannten Kipppunkt. Und das ist das allergrößte Risiko. Die Modelle und Berechnungen der Klimatologen besagen, dass ab 20 bis 30 Prozent Rodung dieser Wald anfängt zu sterben, unaufhaltsam. Das ist, wie wenn ich das Glas an den Tischrand schiebe und das Glas fällt dann runter. Wir sind jetzt schon bei ungefähr 17 bis 18 Prozent.“
Wir sind mit Gedeih und Verderb mit Amazonien verbunden. Dr. Christof Schenck, Zoologische Gesellschaft Frankfurt
Jetzt gibt es ja Menschen, die sehr leichtfüßig sagen: Das ist ja ganz weit von uns.
„Falsch und zwar in Ursache und Wirkung. In der Wirkung geht man davon aus, dass es zu einer Wüstenbildung führt, die von Argentinien bis in den mittleren Westen der USA reicht. Es wird keinen Ort auf dieser Erde geben, der nicht von diesem Kipppunkt betroffen sein wird. Die absolute Apokalypse wäre, dass dieser Punkt andere Kipp-Punkte beschleunigt oder gar zum Kippen bringt. Beispiele: der Permafrostboden, die Nordatlantikströme, die kalten Meeresströme an den Polen. Also all das, was unser stabiles Klima ausmacht, in dem wir uns als Menschheit entwickelt haben. Es würden riesige Küstenstädte überfluten, es würde Dürren geben, alles, was wir jetzt schon sehen, nur in viel größeren Dimensionen. Was in Amazonien an Rodung passiert, würde auf dem längeren Weg Konsequenzen für uns haben.“
VALUE BALANCING ALLIANCE
Und die Ursache?
„Wir importieren beispielsweise 1,4 Millionen Tonnen Soja aus Brasilien und diese werden auf ehemaligen Regenwaldflächen angebaut. Regenwald-Rodung passiert nicht nur wegen Holzgewinnung, sondern auch für Landwirtschaftsflächen. Irrsinnige wasserintensive Viehhaltung und Sojaanbau. Das Soja kommt nach Deutschland zur Fütterung von Millionen Nutztieren. Ohne externe Futtermittel aus den Tropen würde Massentierhaltung und Fleischerzeugung nicht möglich sein. Das Verrückteste: wir exportieren Fleisch auch unter anderem nach China.“
Es gibt weltweit unzählige Konferenzen zu diesem Thema. Du bist Berater der Bundesregierung und bei relevanten Reisen des Bundespräsidenten dabei. Was sind – machbare – Ansatzpunkte?
„Ja, es gibt ausreichende Diskussionen, die keine ausreichende Wirkung haben oder in die falsche Richtung zeigen. Wir müssen die Art und Weise, wie wir wirtschaften, konsumieren und leben, grundlegend ändern. Wir müssen andere Werte schaffen. Die wirtschaftlichen Modelle dafür sind da. Zwei der entscheidenden sind die Internalisierung der externen Kosten, sprich, es gibt eine große Produktion, die Gemeinwohl nutzt und schädigt, dafür aber nichts zahlt. Wenn man diese in die Preisgestaltung einbeziehen würde, dann würden manche Produkte sehr teuer und andere das Niveau halten.“
Das ist ja auch ein Ansatz, warum Du die Arbeit der „Value Balancing Alliance“ unterstützt, deren Mitglieder sich in ihrem nachhaltigen Wirtschaften messbar machen?
„Genau. Ein zweiter Ansatz, man geht auf die Unternehmensführer zu und erarbeitet, dass sich der Wert eines Unternehmens nicht allein am Umsatz, Gewinn oder Shareholder Value misst, sondern auch an der sozialen Entwicklung und der Umweltverantwortung. Und wenn man das in die Bilanzen der Unternehmen integriert, dann würde man tatsächlich auch eine andere Wirkung erzielen. Das eine Modell setzt beim Verbraucher an und das andere beim Unternehmen.“