DIVERSITY IN FASHION

Die Modebranche ist berüchtigt dafür, vor und hinter der Kamera nur Menschen zu beschäftigen, die dem europäischen Schönheitsideal entsprechen, und alle anderen Kulturen auszuschließen. Das Bewusstsein für diese Dinge ändert sich jedoch und damit ist auch die Modebranche gezwungen, sich zu ändern – es ist auch höchste Zeit. Ein kritischer Kommentar unserer Fashion-Expertin Alessandra Frank.

EXKLUSIVE WHITE

Mode ist eine dynamische, überaus spannende Industrie, die Millionen Menschen auf der ganzen Welt beschäftigt und viele aufstrebende, motivierte und kreative Künstler:innen anzieht. Doch gewisse Gruppen hochtalentierter Individuen, insbesondere Menschen, die dem eurozentrischen Schönheitsideal – hellhäutig, sehr dünn, sehr jung – nicht entsprechen, haben große Schwierigkeiten Fuß in der Industrie zu fassen. Sie werden bewusst oder unbewusst, im Ergebnis aber erschreckend konsequent, ausgeschlossen. Diese substantielle Unterrepräsentation beginnt bereits in Modeschulen oder Praktika und zieht sich über alle Hierarchiestufen bis hin zu den wichtigsten Einfluss- und Führungspositionen. Jahrzehntelang hat eben dieses europäische Schönheitsideal die Modebranche dominiert und die Bilder beeinflusst, die Modemarken benutzen, um für ihre Produkte zu werben. Ob in Modestrecken, in Magazinen oder auf Werbeplakaten: Das Gesicht der Modebranche war notorisch und fast exklusiv weiß. Für Diversität, ob vor oder hinter der Kamera, gab es kaum Raum. Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe, mehrgewichtigere, ältere Models oder solche mit Handicaps traf man selten bis nie auf Laufstegen, schon gar nicht in der Position von Entscheider:innen

WILL FASHION EVER LEARN?

Dazu kamen – in erschreckender Regelmäßigkeit – rassistische Werbekampagnen: Von H&M über Prada, von Dolce & Gabbana über Gucci bis Burberry, kaum eine der vielen globalen Marken hat es geschafft, nicht beleidigend, gedankenlos, ignorant oder diskriminierend und rassistisch zu sein. Modemagazine müssen auch noch wesentlich diverser werden: So gab es bisher nie mehr als eine kleine Handvoll schwarzer Chefredakteur:innen. Die amerikanische Vogue hat in ihrer inzwischen 130-jährigen Geschichte 2018 zum ersten Mal einen schwarzen Fotografen für das Cover engagiert. Beim wichtigen Mode-Wirtschaftsverband CFDA sind von 495 Mitgliedern lediglich 15 schwarz. Eine ähnlich kleine Anzahl schwarzer Kreativer stehen als Chefdesigner:innen an der Spitze eines der weltweit größten Modelabels (Olivier Rousteing beim französischen Label Balmain, der im letzten Jahr verstorbene Virgil Abloh bei Louis Vuitton Menswear). Die unzähligen anderen BIPOC Designer:innen, die selbstverständlich existieren und wunderbare Kollektionen erschaffen, arbeiten in der Regel für ihr eigenes Label und werden in den allermeisten Fällen übergangen, wenn eine neue Position bei einem globalen Label besetzt werden soll.

Die Black Lives Matter-Bewegung hat nach der Ermordung von George Floyd in den USA weltweit Schlagzeilen und unzählige Proteste ausgelöst. In der Folge wurde ein nie da gewesenes und weiter wachsendes Bewusstsein für Diversität und soziale Gerechtigkeit in Gang gebracht, auch in der Modeindustrie, sonst eher bekannt dafür, ihre Augen und Ohren vor sozialen Themen zu verschließen. Bisher konnten Unternehmen ungewollte Aufmerksamkeit mit einem kurzen Statement auf Social Media oder einer breit publizierten Spende abwehren. Heute verlangen die Konsument:innen nicht nur Belege für ein ernst gemeintes und langfristiges Engagement, sondern auch konkrete Zahlen zur Zusammensetzung der Belegschaft und den Nachweis, dass interne Strukturen mit den öffentlichen Bekundungen übereinstimmen.

MONEY TALKS

Einen Mangel an Diversität – vor und hinter der Kamera – spüren viele namhafte Marken zunehmend in sinkenden Umsätzen: Boykotte und Produktrückrufe setzen Labels insbesondere auf Social Media zunehmend Kritik aus, die zu Shitstorms führen. Gucci zum Beispiel musste schon mehrfach rassistisch aussehende Produkte zurückrufen. Die Marke lancierte – nach zu vielen Kontroversen unter Druck, nicht den großen Teil ihrer Kundschaft zu verlieren – einen gemeinnützigen Fond mit einem jährlichen Budget von fünf Millionen Dollar, ernannte einen „Global Head of Diversity“ und stellte lokale und regionale Mitarbeiter:innen an, die ausschließlich für Diversität zuständig sind. Dies alles geschieht, da es sich Brands immer weniger leisten können, ihre Kundschaft zu beleidigen, auszuschließen oder vor den Kopf zu stoßen. Auch Chanel und H&M haben in den vergangenen Jahren Initiativen ergriffen, Inklusivität in den eigenen Reihen zu erhöhen. Der Luxus-Konzern Kering (zu seinem Portfolio zählen unter anderem die Marken Balenciaga, Gucci, Saint Laurent und Alexander McQueen) hat eigens einen „Chief Diversity, Inclusion and Talent Officer“ eingestellt.

Mode kann ihre Aufgabe als Kunstform nicht erfüllen, wenn sie nicht divers und inklusiv ist. Alessandra Frank

Man fragt sich in all diesen Fällen aber schon, warum es bei Marken dieser Größe trotz all den Initiativen scheinbar nicht möglich ist, dass niemandem während des gesamten Design- und Produktionsprozesses dieser „Fauxpas“ auffällt. Gelder zur Verfügung zu stellen und neue Positionen zu schaffen, nützt dann auch reichlich wenig, wenn die Marken nichts dazulernen und weiterhin beleidigend bleiben.

EVERYBODY‘S BUSINESS

Für den Frankfurter Nachwuchsdesigner Samuel Gärtner zum Beispiel ist es selbstverständlich, Menschen aller Hautfarben, Körpergrößen und Alter zu casten: “Mode ist für jeden und jeder soll sich damit angesprochen fühlen. Die Gesellschaft ist leider sehr festgefahrenen in altmodischen Schönheitsidealen und ich versuche, dagegen zu arbeiten und der Welt zu zeigen, dass Schönheit viele Facetten hat.” Warum aber muss die Modeindustrie überhaupt eine Rolle bei den Themen Inklusion und Diversität spielen? Sollte das nicht lieber Politiker:innen und Aktivist:innen überlassen werden? Die Branche ist eine der größten Industrien weltweit, sie beruht auf Selbstentfaltung, Selbstdarstellung, Kreativität und der Möglichkeit, sich auszuleben. Mode verkauft nicht einfach simple Kleidungsstücke, sie verkauft Selbstbewusstsein, persönliche Identität, einen bestimmten Lifestyle und ein Image. Mode kann also ihre Aufgabe als Kunstform nicht erfüllen, wenn sie nicht divers und inklusiv ist.

Außerdem muss jeder Teil der Gesellschaft, jede Industrie und jede Branche Teil der Lösung sein, wenn es zu einem wirklichen, spürbaren Wandel kommen soll. Die Modeindustrie muss Menschen willkommen heißen, die dem eurozentrischen Ideal nicht entsprechen, sie muss verstehen, dass sich nicht nur die Zeiten – endlich! – ändern, sondern auch das Verhalten der Konsument:innen.

Wir haben es in der Hand, welchem Unternehmen wir unser Geld geben und dies wiederum kann einen radikalen Einfluss darauf haben, wer eingestellt, gezeigt und repräsentiert wird. Es ist nämlich essentiell, dass die Diversität nicht nur vor der Kamera und auf den Laufstegen stattfindet, sondern auch dahinter – in Berufen, die Entscheidungsmacht und Einfluss haben. Models mögen zwar Teil des Images eines Unternehmens sein und es ist auch immens wichtig, alle Menschen repräsentiert zu sehen – aber sie haben keinen Input, keine Stimme und keine Kontrolle darüber, was ein Label produziert und auf den Markt bringt, wer Entscheidungen für wen und gegen wen treffen kann. Inklusivität bedeutet also, einflussreiche Menschen unterschiedlichsten Backgrounds einzustellen und ihnen eine Stimme und Chance zu geben.

THE REAL POWER OF SHOPPING

Obwohl die Industrie selber hauptverantwortlich dafür sein sollte, zu einem Wandel beizutragen, haben wir als Konsument:innen jede Menge Macht. Wir dürfen uns nicht mehr zufriedenstellen und auch nicht ruhigstellen lassen durch nett gemeinte Statements, einem schwarzen Rechteck auf Instagram oder dem einen oder anderen älteren oder mehrgewichtigeren Model in Kampagnen. Wir können Brands, die Minderheiten gehören und von Minderheiten geführt werden (etwa Stella Jean, Victor Glemaud, Off-White, Mowalola, Telfar, Pyer Moss, Thebe Magugu, Cushnie, Christopher John Rogers, etc.) unterstützen, indem wir bei ihnen shoppen. Und wir müssen die Labels kennen, denen wir üblicherweise unser Geld geben. Recherchieren, wer an den Hebeln der Macht sitzt. Wir Konsument:innen können Labels zeigen, was wir unter wahrer Diversität und Inklusivität verstehen und so für größere Gerechtigkeit in der Industrie sorgen!