Das Weltkulturen Museum bekommt eine neue Leitung. Der Neuzugang darf sich auf den experimentellen und interdisziplinären Blick des Hauses auf indigene Kulturen und nicht-europäische Gesellschaften freuen. Die kommissarische Leiterin Mona Suhrbier führte THE FRANKFURTER durchs Museum.
Jeder Schritt knarzt auf dem Parkett. Ein ehrwürdiger Klangteppich, der uns in den drei Villen begleitet, in denen das Weltkulturen Museum am Schaumainkai untergebracht ist. Das 1904 gegründete Museum, seinerzeit noch an einem anderen Ort, ist ein Forschungszentrum mit einer einzigartigen Sammlung von 69.000 Artefakten aus allen Teilen der Welt. Ein riesiges Bildarchiv, eine Sammlung historischer und zeitgenössischer Filme sowie eine Präsenzbibliothek mit 60.000 Büchern – in der sich auch Kinderbücher aus aller Welt finden – sind Teil des Museums. Ethnologische Forschung, zeitgenössische künstlerische Praxis und experimentelle Methoden der Vermittlung zeichnen das Museum aus, dessen Träger die Stadt Frankfurt ist. Es gibt keine Dauerausstellung, stattdessen alle neun Monate eine neue Schau, ein neues Thema, neue Weltregionen im Fokus. 1973 öffneten sich die Villen für das Publikum. Die älteste ist aus dem Jahr 1844. Wie standesbewusst einst das Leben in ihnen war, zeigen nicht nur die beiden Treppenhäuser in der Hausnummer 35, eines für die Herrschaften, eines für die Dienstboten.
BLESSED WITH POPCORN
In der Hausnummer 37 demonstrierte vor einigen Jahren der afro-brasilianische Künstler Ayrson Heráclito in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst aus Südamerika Rituale des Candomblé, einer wichtigen nationalen Religion in Brasilien, und „reinigte“ die hohen Räume in einer Perfomance mit Blätterbüscheln einer sakralen Pflanze. Heráclito kritisiert in seinen Arbeiten Sklaverei und Rassismus. Millionen Sklaven aus Mosambik, Kongo, Senegal und weiteren Staaten der afrikanischen Westküste wurden vom 16. bis ins 19. Jahrhundert nach Brasilien verschleppt. „Besucher:innen der Schau konnten sich von ihm rituell reinigen lassen. Er strich dabei Popcorn über ihre Körper. „Die Schlange der Wartenden war sehr lang“, erinnert sich die Ethnologin und langjährige Kustodin am Haus, Mona Suhrbier. Bei unserem Besuch leitet sie kommissarisch das Museum, eine neue Direktion soll noch in diesem Jahr kommen. Suhrbier selbst geht 2025 in Rente. „Wir waren 2017 die ersten, die das komplette Werk von Heráclito gezeigt haben. Nach der Biennale in Venedig und Stationen in den USA ist er inzwischen sehr gefragt.“ Nicht der einzige Karriereschub, der vom Frankfurter Museum ausging. So präsentierte Suhrbier als erste indigene brasilianische Rap-Gruppen und machte sie damit international bekannt.
SHADOW OF COLONIALISM
Mumien? Mona Suhrbier wehrt entschieden ab: „‘Human Remains‘ gibt es bei uns nicht. Wenn überhaupt, gingen sie womöglich ans Senckenberg Museum. Vieles in unserer Sammlung kommt aus Macht- und Religionskontexten, aber auch zahlreiche Alltagsgegenstände sind darunter. Ein breit gefächertes Feld.“ Die Debatte um Rückgabe von Kulturgütern beziehungsweise „Raubgütern“ findet auch in Frankfurt statt. „Das Museum ist in der deutschen Kolonialzeit entstanden. Zunächst firmierte die Sammlung unter ‚Völkermuseum‘, dann als ‚Völkerkundemuseum‘ nach dem Namen des wissenschaftlichen Fachs. Das Museum hat über 50 Metall-, Holz- und Elfenbeinobjekte aus Benin. Wann und unter welchen Umständen sie in die Sammlung des ‚Völkerkundemuseums‘ gelangten, untersuchte ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördertes Provenienz-Forschungsprojekt, das den komplexen Besitzverhältnissen hinter den Objekten nachging“, erläutert Suhrbier. Der kritischen Aufarbeitung kolonialer Kontexte fühlt sich das Museum, wie andere deutsche Sammlungen auch, verpflichtet. 2021 ging ein historisches Hirschlederhemd eines politischen Führers der Teton-Lakota an dessen Nachfahren zurück. „Unter den Frankfurter Sammler:innen des frühen 20. Jahrhunderts, das ist eine aktuelle wie überraschende Erkenntnis unserer Provenienzforschung, waren auch Politiker:innen und Stadtverordnete.“
Das Weltkulturen Museum sieht sich an der Schnittstelle von Ethnologie und Kunst. Mona Suhrbier
500 SQUARE METERS MORE
Gerade wurde die Fassade der Hausnummer 37 renoviert. Bald sind auch die anderen Häuser dran. Neue Dächer und die Erneuerung der Verkabelung seien geplant. Die Villen und das angrenzende Kutscherhaus sind wunderschön, aber betagt. Ihre Geschichte ist aufgearbeitet, zwei Villen waren in jüdischem Besitz. Innen fehlt es an Platz. Neubaupläne sind ein ums andere Mal gescheitert. „Wir brauchen dringend einen Vortragssaal“, sagt Suhrbier im holzgetäfelten Zimmer, das maximal 60 Personen fasst. „Die Buchmesse würde gern bei uns Lesungen veranstalten, auch junge internationale Filmemacher sprechen uns an, doch der Raum ist einfach zu klein.“ Lichtblick ist da eine geplante Dependance im Bankenviertel. Im historischen Altbau des Hochhausprojekts „Neue Mainzer Straße“, im zweiten Obergeschoss, wird die Sammlung ab 2027 eine zusätzliche Ausstellungsfläche von rund 500 Quadratmetern erhalten. Mona Suhrbier sieht die Notwendigkeit: „Dort wird das Museum technisch moderner aufgestellt sein. In den drei Stammvillen fehlen uns eine Klimaanlage – was Leihgaben etwa aus dem Städel Museum unmöglich macht – und ein barrierefreier Zugang.“
„WHO SPEAKS – AND FOR WHOM?“
Der Blick auf „fremde, ferne“ Kulturen hat sich seit der Gründung des Museums vor 120 Jahren grundlegend verändert. Einseitigkeit und Egozentrik schieden aus. Mona Suhrbier: „Lange war es üblich, dass Ethnolog:innen für andere gesprochen haben. Heute sprechen die ‚Anderen‘ für sich selbst. Das heißt, indigene Gemeinschaften und Künstler:innen sprechen für ihre Sache. Der aktive Austausch mit Partner:innen aus indigenen Kulturen und nicht-europäischen Gesellschaften ist uns wichtig. Im Juni etwa haben wir eine große Gruppe aus Bolivien zu Gast, die mit unserer Sammlung arbeiten will.“
Wie experimentell das Museum an Themen herangeht, beweisen seine Ausstellungen auf kleinstem Raum. Fesselnde Eindrücke für Auge und Ohr. Die Verbindung von modernem Lifestyle und Ethnologie. Schamanische Heilgesänge, die auf Wasser Vibrationen sichtbar machen. Geraubte respektive „angeeignete“ Bronze-Köpfe aus dem Königreich Benin (heute Nigeria), zu denen junge nigerianische Multimedia-Künstler:innen mit ihren Arbeiten eine Dialogsituation eingehen. In diesem Herbst eröffnet eine Schau über Australien, an der indigene Kurator:innen konzeptionell mitarbeiten. „Ethnologie ist oft sperrig, es braucht einen Zugang, der mit unserem Lifestyle zu tun hat “, weiß Suhrbier. Wer das Museum besucht, kann sehen, dass hier eine spannende Zugänglichkeit glückt.