Das Bauen wird sich dramatisch verändern müssen, denn es ist nicht nachhaltig: es verbraucht viele Ressourcen, emittiert Treibhausgase, produziert Müll und versiegelt Flächen. Einer der führenden Forscher, die sich der Zukunft des Bauens annehmen, ist Prof. Dr. Achim Menges, der mit seinem Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) an der Technischen Universität Stuttgart seit Jahren an neuen Lösungen forscht. THE FRANKFURTER traf ihn zum Interview.
Spektakulär sind die Pavillons, die Achim Menges und sein interdisziplinäres Team, bestehend aus Ingenieur:innen, Architekt:innen, Designer:innen und Biolog:innen, rund um die Welt errichten. Sein Ansatz dabei ist die computergestützte Planung und Fertigung, mit der er Materialien auf ein neues Niveau bringt und sich dabei im Sinne der Biomimetik Prinzipien aus der Natur abschaut. Dabei forscht er nicht nur, sondern ist mit der Frankfurter Partnergesellschaft Menges Scheffler Architekten in der Angewandten Architektur unterwegs.
LESS MATERIAL, MORE FORM
Die von seinem Stuttgarter Projektteam favorisierte Bauweise mit Faserverbundwerkstoffen zeigt einen grundlegend alternativen Ansatz für den Bau zukünftiger Lebensräume auf: Diese resultieren im biomimetischen Prinzip von „weniger Material“ durch „mehr Form“. Sein jüngstes Projekt ist der livMatS-Pavillon, der in Freiburg steht. Die tragenden Elemente sind aus Flachsfasern hergestellt. Flachsfasern sind regional verfügbar und wachsen in jährlichen Erntezyklen. Sie sind vollständig erneuerbar, biologisch abbaubar und bieten das Potenzial, insbesondere in Kombination mit Leichtbau, den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden deutlich zu reduzieren. Die tragenden Bauelemente wurden mit einem von dem ICD und ITKE (Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart) entwickelten kernlosen Wickelverfahren hergestellt. Dazu wurden Faserbündel von einem Roboter präzise auf einen Wickelrahmen gelegt.
MAISON FIBRE: THINKING MODEL
URBACH TOWER NEAR STUTTGART
Auch mit der selbstverformenden Kraft von Holz arbeitet der Forscher. Im Remstal bei Stuttgart steht seit 2019 der Urbach Turm. Die markante Form des Bauwerks entsteht in einem neuartigen Prozess der Selbstformung. Dafür wird das charakteristische Schwinden des Holzes bei Verringerung des Feuchtegehalts genutzt. Wenn das Material die Form bestimmt, was machen dann noch Architekt:innen? „Der Architekt arrangiert Bauwerkstoff“, weiß Menges. „Wir moderieren den Prozess der Selbstformung. Das Material hat dabei einen hohen Anteil an Authentizität.“
LIKE SPRUCE CONES – HYGROSKIN PAVILLION
Auch beim HygroSkin - Meteorosensitive Pavillon setzt Menges auf die Kraft der Selbstverformung, klimareaktive Architektur und Biomimetik. „Wir haben uns Gedanken gemacht, was es für Bewegungen gibt, die nicht auf Motoren oder Muskeln basieren, und sind dabei auf Fichtenzapfen gestoßen.“ Und eben wie die sich öffnenden Fichtenzapfen funktioniert auch der HygroSkin Pavillon: In die modulare Holzhaut des Wanderpavillons aus ebenen Sperrholzplatten wurde durch Roboterfertigung eine wetterabhängige Öffnung eingesetzt, die auf Veränderungen der relativen Luftfeuchtigkeit in der Umgebung reagiert. Das Material sei damit Motor, Sensor und Regelelement in einem, erklärt Menges. So könne man sich klimaresponsive Fassaden ganz einfach aus der Natur abschauen.
TIMBER PROTOTYPE
GRANULAR ARCHITECTURE
Schließlich beschäftigt sich Achim Menges und sein Team auch mit granularer Architektur. Granulare Substanzen, etwa Sand oder Kies, befinden sich in der Natur in ständigen Bildungsprozessen durch Erosion und Akkretion. Was wäre, wenn die Architektur dieses Verhalten nachahmen würde? Herausgekommen ist nach zehn Jahren Forschung 2018 der ICD Aggregat Pavillon, der den ersten vollständig umschlossenen architektonischen Raum – der aus einem spezifisch dafür entworfenen Granulat besteht, in dem die Partikel selbsttragende Raumstrukturen bilden – präsentiert.
Die Perspektive des Architekten: „Wir müssen Planen und Bauen um- und neudenken, weil das Bauen, wie wir es jetzt betreiben, nicht zukunftsfähig ist. Durch digitale Technologien bekommen wir einen neuen Zugang zu Materialität und Architektur. Eine neue Materialkultur für die Architektur zu entwickeln, das finden wir eine spannende Aufgabe“, findet Menges. „Dabei werden biobasierte Werkstoffe eine immer größere Rolle spielen.“