BREAD COUTURE

Sie sind die „Broterben“: Bäckermeister Jakob Remsperger und seine Geschwister blicken auf sieben Generationen Brotkunst. Sie haben für ihr rundum handwerkliches Craft-Brot alles umgekrempelt, nicht nur den alten Dorfladen. Weshalb Foodies wegen des urigen Sauerteig-brots selbst von weit her anreisen, verstand unser Style-Experte Chris bei seinem Besuch im Flörsheimer Stammhaus.

Es riecht warm, kross, unverkennbar. Dieser Geruch geht durch die Nase sofort ins limbische System, wo er auch bei mir eine ganze Klaviatur schöner Erinnerungen, die in der Kindheit beginnen, abruft. Für Jakob Remsperger ist dieser satte Duft sein „tägliches Brot“. Und für seine Vorfahren war es das auch. Seit 1768 backt die Familie Remsperger in Flörsheim-Weilbach. Das große Stammhaus an der Frankfurter Straße, wo noch heute gebacken wird, ist seit damals in Familienbesitz. Jakob und seine Geschwister Vera und Philipp sind die siebte Generation, die „Broterben“, wie das Unternehmen nach ihrer Übernahme 2017 umbenannt wurde. „Wir müssen keine Story erfinden, wir haben eine Story“, weiß Jakob Remsperger, mit 32 Jahren der Älteste.

REGIONAL SUCCESS

„Ich schmeiße mal den Teig in die Luft“, schlägt Jakob in der Backstube vor, um möglichst dynamische Fotos entstehen zu lassen. Er weiß, was wirkt, ist er doch selbst Hobbyfotograf und bestückt Instagram für die „Broterben“. Von der großen Backstube kann man in den Verkaufsraum schau-en und umgekehrt. „Wir spielen mit offenen Karten, jeder soll die Zubereitung der Teige sehen können“, sagt Jakob. Die gläserne Backstube ist so eine Neuerung, die mit den jungen Erben kam, als sie das Klischee des typischen Dorf-bäckers ablegten. Die Eltern hatten noch dem alten Bild entsprechend gearbeitet, auch mit klassischer Rollenverteilung. Der Vater, gleichzeitig Konditor, in der Backstube, die Mutter im Verkauf.

Dann kamen die drei Geschwister zum Zug und das Konzept samt Laden wurde komplett hinterfragt und neu aufgestellt. Ganz schön mutig, in einem kleinen Ort. Werden die Stammkunden treu bleiben, wenn junge, frisch ausgebildete Erwachsene, die man schon als Kinder im Laden herumspringen sah, auf einmal alles Ver-traute querbürsten? Sie blieben – und viele neue Fans kamen hinzu. Inzwischen reisen selbst Brot-Enthusiasten aus Frankfurt, Wiesbaden und selbst Koblenz an, um sich das herrlich krosse Sauerteigbrot zu holen. „Manchmal kaufen diese Leute den halben Laden leer und gefrieren die Brot-laibe dann zuhause ein“, freut sich Jakob und staunt.

ROOTS FOR THE FUTURE

Was ist nun das Geheimnis des Erfolgs und der Lohn des Mutes, will ich wissen. Zunächst war es die Verfeinerung der bewährten handwerklichen Qualität, keine Massenware. Dazu mehr Nachhaltigkeit und regionale Produkte, weder Enzyme noch künstliche Geschmacksbooster. Und die seit Jahrhunderten gehüteten Familienrezepte perfektionierte man. Nicht zuletzt gönnt man dem Sauerteig teils noch längere Reifezeiten. Jakob, der Kopf des Unternehmens, plant, in Zukunft den Strom selber zu produzieren, um noch nachhaltiger zu werden. Er selbst steht nicht mehr in der Backstube, sein Job ist vor allem die Produktentwicklung. Den derzeit 15 Angestellten bietet er durch den großen Erfolg der „Broterben“ einen sicheren Arbeitsplatz.

Einen nachhaltigen Lebensstil lebt er vor. Jakob ist Veganer, „mit kleinen Ausflügen hin zu Fisch“. Besonders am Herzen liegt ihm, den Beruf wieder attraktiver zu machen: „Das Problem sind die Arbeitszeiten, darauf hat kaum noch jemand Bock. Das könnte jedoch viel entspannter sein, wenn man zu normalen Uhrzeiten die Teige vorbereitet und durch Kühlung bereithält, bis sie tagsüber oder am nächsten Tag ausgebacken werden können. Daran arbeiten wir.“

Die Verbundenheit zu unserem Erbe und die Leidenschaft für neue Produkte zeichnen uns aus. Jakob Remsperger, „Broterben“

CRISPY & SWEET

Beste Zutaten, auch was die anderen Geschwister fürs Geschäft mitbringen. Vera ist Konditorin und Patissière, Philipp studierter Wirtschaftswissenschaftler. Die Verjüngung des Unternehmens auf allen Ebenen war das gemeinsame Projekt der drei Remspergers, wohlwollend unterstützt von ihren Eltern, die, wie in Familienbetrieben üblich, noch immer im Hintergrund mithelfen, wenn eine Hand gebraucht wird. Die lange berufliche Ahnenreihe, eine Seltenheit in Deutschland, ist süße Verpflichtung und Ansporn für jede nächste Generation.

Mit der derzeitigen kam auch eine völlig neue Optik für die Verkaufszone. Das Laden- Café präsentiert sich superstylisch im edel-schwarzen Industrial Look, die heiß begehrten Craft-Brote „leuchten“ durch eine raffinierte Lichtführung. Eine höchst wirksame und puristische Präsentation der krossen Schätzchen. Statt Streuselkuchen und Schwarzwälder Torte, Klassiker jeder familiengeführten Konditorei auf dem Dorf, fächert Vera Remsperger ihr ganzes Können in der Patisserie auf. Törtchen wie Skulpturen, kunterbunte Macarons, Marmeladen und – mein Tipp – superleckere Bruchschokolade werden von ihr zauberhaft in den Vitrinen inszeniert. Rappelvoll ist das Café an den Wochenenden, zum klassischen deutschen Frühstück soll es bald auch ein veganes Ange-bot geben. Die Kaffeebohnen sind eine exklusive Mischung einer kleinen Frankfurter Rösterei und werden ebenfalls verkauft. „Samstags und sonntags sollte man unbedingt reservieren“, rät Vera.

CLASS INSTEAD OF MASS

Jakob drückt mir ein Brot für zuhause in die Hand. Dinkel mit Kürbiskernen. Der Laib sieht so klasse aus, dass ich ihn umgehend auf Instagram poste. Auch mein limbisches System jubelt und funkt Werte wie Gemütlichkeit und Geborgenheit. Handwerkliche Bäcker:innen wie Jakob Remsperger und sein Team sind die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Bäckereiketten, die in ihren Filialen tief-gefrorene Teiglinge, die oft aus China kommen, und Vorbackbrote aufbacken, dominieren die Branche. Doch die Raffinesse der anspruchsvollen Brot-Einfachheit findet ihre neuen Nischen, zum Beispiel in Flörsheim.