Vor fast 250 Jahren gebaut von Schnupftabakmillionären als Aushängeschild ihres wirtschaftlichen Erfolgs, verströmt der Bolongaropalast in Frankfurt-Höchst bis heute in seinen Räumen und Fluren viel Grandezza. Nach seiner Sanierung wird er ein Palazzo der Kultur sein, einschließlich Museum und Restaurant. THE FRANKFURTER war auf der Baustelle.
Die Enfilade, eine fluchtende Aneinanderreihung von Räumen, wobei die Türöffnungen in einer Linie exakt gegenüberliegen, dürfte einmalig für das Rhein-Main-Gebiet sein. 80 Meter sind es vom ersten bis zum letzten Raum, stuckverzierte Säle, mal größer, mal kleiner, durch die man gänzlich hindurchschauen kann und die nach der Sanierung das neue Porzellanmuseum beherbergen werden. Ein weiteres Superlativ kennt der Kunsthistoriker Konstantin Lannert, leitender Kurator des künftigen Museums, der uns durchs riesige Haus führt, das noch Sanierungsbaustelle ist: „Der Bolongaropalast ist der größte spätbarocke Palast nördlich der Alpen, der von nichtadligen Bauherren umgesetzt wurde. Da die Kaufleute und Tabakhändler Bolongaro vom Lago Maggiore kommend in Frankfurt kein Bürgerrecht erhielten, da sie katholisch waren, gingen sie nach Höchst. Dort, fern vom Einfluss der lutherischen Reichsstadt Frankfurt, sollten sie dem Mainzer Kurfürst helfen, neben der Höchster Altstadt eine ‚Neustadt‘ zu beleben. Der Traum des Klerikers platzte mit seinem Tod, und von der geplanten Neustadt wurde nur der private Palast verwirklicht. 1775 war das Hauptgebäude fertig, gebaut mit Sandsteinen der Ruine des Höchster Renaissanceschlosses. Nach mehreren Besitzerwechseln kaufte schließlich 1907 die Stadt Höchst die Liegenschaft, die nach der Eingemeindung an die Stadt Frankfurt überging und als Behördenzentrum fortbestand. Was nach der aktuellen Sanierung bleibt, ist das Standesamt im Gartenpavillon.“
UNDER ONE ROOF
Die Sanierung durch die Stadt Frankfurt ist ein Mammutprojekt, seit fünf Jahren bereits. Schon 2003 wurden erhebliche bauliche Mängel festgestellt, vom Brandschutz bis zur fehlenden Barrierefreiheit. Schließlich hat es über die Jahrhunderte zahlreiche Eingriffe in den reich ausgeschmückten Räumen gegeben, die radikale Spuren hinterließen. Im hohen Kapellensaal befand sich vor über einhundert Jahren ein Möbellager, mehrere Decken wurden eingezogen. Im Westflügel gab es mal ein kleines Gefängnis, auch eine Fabrik für Gas- und Wasserleitung machte sich im Palast breit.
„Wir wissen sehr wenig, was im 18. Jahrhundert im Gebäude eigentlich passiert ist. Kein einziges Objekt der ursprünglichen Ausstattung ist erhalten, auch keine Ansichten der Innenräume“, so Konstantin Lannert. Und dennoch. Es ist genug vorhanden, was auf die alte Pracht schließen lässt, die in der Barockzeit eigentlich nur Adel und Klerus vorbehalten war. Weitgehend erhaltene Stuckdecken, Öfen, Türen, die barocke „Showtreppe“ und kleine Alltagsschätze. Unterm alten Parkett, in Schächten und ehemaligen Kaminen (Kaiser Napoleon, der hier 1813 übernachtete, dürfte sich an einem gewärmt haben) entdeckten Archäolog:innen unter anderem Rechnungen, einen Kinderschuh und Spielzeug. Bei unserem Besuch wandeln wir staunend durch die Säle, vorbei an Restaurator:innen, die die ersten Türen, die vielleicht sogar von italienischen Handwerker:innen stammen könnten, aufarbeiten. Zwar hat der Palast nie geschlafen, aber in seinem wahren Wesen wird er erst jetzt wieder wachgeküsst. In 2025 soll eröffnet werden.
CULTURAL PALACE FOR ALL
Bis dahin ist viel zu tun. Noch hat der Palast, bei aller Geschäftigkeit, die wir hier erleben, etwas von einem Lost Place zwischen den Welten. Eine magische Momentaufnahme vor dem fulminanten Neustart. Herzstück des neuen Kulturpalasts werden vier Ausstellungen auf rund 1.000 Quadratmeter sein, die sich mit dem weltberühmten Höchster Porzellan und der vielstimmigen Geschichte von Höchst beschäftigen. Das Porzellanmuseum, zuvor im Kronberger Haus, wird sich über 17 Säle hinweg vollkommen neu darstellen. Partizipativ in einer in Frankfurt bislang nicht gekannten Weise. Eine „Familienspur“ verfolgt die schwerreichen Bolongaros und in elf Kapiteln erfährt man Spannendes über den Stadtteil. „Die Start-up-Kultur in Höchst war signifikant. Die Tabakmillionäre, die Porzellanmanufaktur, die ersten Chemiefabriken. Und Höchst war schon immer ein Ort für Neuankömmlinge. Ein Magnet. Höchster Güter gingen in die ganze Welt, Möbel, die ‚Ada-Ada-Schuhe‘, Anilinfarben, um nur einiges zu nennen. Das und noch mehr wollen wir hier erzählen, auch in Sonderausstellungen“, erläutert uns Konstantin Lannert beim Rundgang durch die noch leeren Räume.
Der Bolongaropalast wird die Erweiterung des Museumsufers nach Westen hin. Konstantin Lannert, leitender Kurator
Mit den anderen Nutzer:innen des künftigen Kulturpalasts, der Musikschule Frankfurt, einer Kita, einem Programmkino, dem Jugendkulturzentrum und Höchster Vereinen will man kooperieren. Wie auch im Historischen Museum Frankfurt, dem Träger des neuen Museums, wird es ein gegenwarts-orientiertes Stadtlabor geben. Der Zugang zu den Ausstellungen soll für Besucher:innen möglichst niedrigschwellig sein, manche Bereiche sind eintrittsfrei. Sehen, staunen, wiederkommen. Gastronomisch wird ein Restaurant-Café kommen, zugänglich über den Palastgarten und die Bolongarostraße. Nicht nur Paare, die im Standesamt nebenan heiraten, dürfte das freuen.
LOVE BIRDS
Ja, die eheliche Liebe. Konstantin Lennart zeigt nach oben. An der Stuckdecke entdecken wir zwei schnäbelnde Schwäne. Ein eindeutiges Sinnbild. Unmissverständlich werden auch die Erotica-Preziosen aus der Porzellanmanufaktur sein, die man im womöglich ehemaligen Schlafzimmer von Madame Bolongaro ausstellt – Höhepunkt der neuen und größten Schausammlung der berühmten Marke. 1746 gegründet, und damit Deutschlands zweitälteste Porzellanmanufaktur, spiegelten die Produkte des Unternehmens Zeitgeist wider. In der Ausstellung werden erzählerisch Momente des privilegierten Alltags mit den Porzellanen gezeigt, ob morgendlicher Schminktisch oder nachmittäglicher Spieltisch. „Das ist für Kinder wie für den versierten Sammler interessant. Wir werden auch mit Medienstationen und Augmented Reality arbeiten, etwa eine festlich gedeckte Tafel, an der ein virtueller Fisch zappelt oder die Suppe im echten Gefäß blubbert“, macht Kurator Konstantin Lannert neugierig. Wir haben uns auf jeden Fall schon jetzt Appetit geholt auf dieses neue Museum in einem Palast, der seinesgleichen sucht.