Der eigene Körper – jeher ein Quell für Zweifel oder Selbstbewusstsein. Nie konnten Menschen, die mit ihren Formen unzufrieden waren, so viel an sich ändern lassen. Das Angebot der Beautyindustrie und -chirurgie ist schier unendlich. Gleichzeitig schafft ein Blick auf das „neue Schön“ andere Ideale: Body Positivity ist in aller Munde. Heißt es in Zukunft Akzeptanz und Toleranz statt Skalpell und Beauty-Treatments?
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Ein schöner Mensch ist schmal und komplett haarlos. Die alten Ägypter verfolgten ein strenges Schönheitsideal. Die Römer standen wiederum auf blonde Haare, mit ätzenden Flüssigkeiten gebleicht. Im Barock waren Fettpolster ein gesellschaftliches Muss und später schnürten sich Frauen in schwindelerregende Korsetts ein, dünn wie Sanduhren. Ein schöner Mensch ist auch gesund, so glaubte man. Nicht zuletzt der Wirtschaftswunderbauch älterer Herren stand dafür. „Schönheit“ war ein Privileg der Wohlhabenden, so zeigen es uns auch die Malerei und Skulptur vergangener Zeiten in Frankfurter Museen. Wo die Natur dem Ideal nicht entsprach und auch Schminke nicht das gewünschte Ergebnis brachte, half man mit dem Messer nach. Ästhetische chirurgische Eingriffe sind in Europa seit fast 2.000 Jahren bekannt. Heute sind Frauen bereit, sich für eine Barbie-Wespentaille Rippen entfernen zu lassen. Zugegeben, ein seltenes Extrem.
Ein exzessiver Fitness-Lifestyle führte bei Sophia Thiel zu einer Essstörung. 'Je brutaler und definierter ich aussah, desto positiver war die Resonanz und desto mehr Likes hatte ich. Mein Körper hatte sich inzwischen abgewöhnt, gesunden Appetit oder gesunden Hunger zu ‚äußern‘ ...' Und heute? 'Früher habe ich meinen Körper als Gegner betrachtet, als Arschloch, das sich gegen mich stellt und das ich unterwerfen muss. Jetzt ist er mein Verbündeter.' Sophia Thiel, Fitness-Star und Buchautorin (“Come back stronger”, ZS Verlag)
ILLUSORY WORLDS
Ihre Wurzeln hat die Body Positivity Bewegung im erwachenden Feminismus des 19. Jahrhunderts. Schon vor dem Ersten Weltkrieg befreiten sich junge Frauen vom Korsett. Heute bedeutet Body Positivity, jedem Körper mit Respekt zu begegnen. Jeder Körper ist gleich wertvoll, impliziert das. Und zugleich das Wissen, dass man von der Körperform nicht auf den Charakter eines Menschen schließen kann. Die Realität sieht oft anders aus. Empirische Studien beweisen: mehrgewichtige Menschen werden bereits bei der Einstellung im Beruf systematisch benachteiligt. Bei drohenden Entlassungen verlieren sie eher ihren Job als schlanke Menschen.
Bin ich schön? Die Kritik am eigenen Körper ist älter als Instagram, Snapchat & Co. Filter und Likes erhöhen hier noch den Druck, einer vermeintlichen Normschönheit zu entsprechen. Der Body Positivity Bewegung ist es zu verdanken, dass die oft unrealistischen Normen hinterfragt werden. Aber: Müssen wir jetzt unsere „Makel“, Speckröllchen und Cellulite, lieben – auch wenn wir selbst kreuzunglücklich damit sind? Das wäre ein neues Diktat, wieder Druck. Selbstakzeptanz und Selbstliebe statt Körperkult sind das eine, die Freiheit, in eine Nasenkorrektur oder in ein Skin-Treatment zu investieren, das andere.
Je älter ich werde, desto wohler fühle ich mich. Ich schaue nicht mehr nach dem kleinen Röllchen, das durch die Schwangerschaften mit zwei gesunden Kindern an meinem sonst flachen Bauch zu sehen ist, wenn ich sitze. Als ich Model in Paris war, hatte ich mich runtergehungert, das war nicht so toll. Heute bin ich lockerer, suche nicht immer nach Fehlern, mache viel Sport und ernähre mich gesund. Katerina Gottesleben, Model und Fotografin
SHOW-BUSINESS
„Body Love - Jeder Körper ist schön“, ruft uns Heidi Klum entgegen. Für ihre aktuelle Staffel von „Germany‘s Next Topmodel“ castet das blonde American Girl aus Bergisch Gladbach Frauen jeden Alters und jeder Körperform. Während in den letzten Jahren Transgender-Models noch mit Idealmaßen glänzten und Curvy-Models gerade mal die normale Konfektionsgröße 42 trugen, schreiten jetzt auch Frauen über den Catwalk, die mit wesentlich mehr „Hüftgold“ aufwarten können. Ihre Konkurrenz: Ü50-Beautys mit Topfiguren und langen grauen Haaren und deren (selbstverständlich – sie sind auch noch dabei!) attraktive Töchter!
Wenn jemand glücklich übergewichtig ist und keine gesundheitlichen Probleme vorliegen, dann gibt es keinen Grund, etwas zu ändern. Dr. med. Matthias Riedl, Internist, Ernährungsmediziner, Diabetologe und Fachbuchautor („Die Ernährungs-Docs“, NDR)
Zeitgleich ist mit „Wunderschön“ ein Film in den Kinos, der zeigt, wie Frauen unter permanentem Druck stehen, einem gewissen Ideal zu entsprechen: Supermutter, leidenschaftliche Liebhaberin für den Mann und top erfolgreich im Job – das alles natürlich in maximaler Kleidergröße 36, stets gepflegt und adrett gekleidet! Regisseurin Karoline Herfurth, die auch eine der Hauptrollen spielt, sagte dazu in einem Interview mit dem ARD-Kulturmagazin TTT: „Immer, wenn ich in den Spiegel geguckt habe – schon sehr früh, mit 12, 13 Jahren, hatte ich ein äußeres Bild. Ich habe mich nicht gesehen, mich gar nicht angeguckt. Ich habe im Kopf eine Schablone über mich gepackt und die Stellen gesehen, die nicht gestimmt haben. Überhaupt: Beim Blick in den Spiegel war ich immer damit beschäftigt, was nicht stimmt und was falsch ist.“ Das Thema ist allgegenwärtig. Aber sind es nicht nach wie vor Frauen, die mit sich und ihrem Körper hadern?
INTERVIEW JANA AZIZI
Jana, wie würdest du dein Körpergefühl beschreiben?
„Liebevoll, selbstbewusst und respektvoll. Ich hatte schon immer ein gutes Körpergefühl und habe es zum Beispiel durch Tanzen, Turnen und Yoga weiterentwickelt. Das Modeln hat mir geholfen, mit meinem Körper auch vor einer Kamera umzugehen. Durch Ernährung und Pflege versuche ich, meinem Körper jeden Tag etwas Gutes zu tun, und ich bin davon überzeugt, dass die Einstellung den Rest macht: Ich bin sehr liebevoll mit mir selbst und weiß, dass mein Körper keine Maschine ist.“
Welche „Makel“ verzeihst du deinem Körper?
„Den menschlichen Körper, vor allem den einer Frau, empfinde ich als Wunder der Natur. Es gibt nichts, was ich meinem Körper verzeihen muss, im Gegenteil: Man sollte so schnell wie möglich lernen, ihn zu lieben. Er ist so wie er ist, mal dicker, mal dünner, mal trainierter. Und das ist auch gut so.“
Es gibt nicht mehr das 'eine' Schönheitsideal. Die Vielfalt ist das Schöne und Interessante. Jana Azizi
IT’S A MAN’S WORLD
Immer häufiger sieht man auch Männer, die „etwas haben machen lassen“. Der Fernsehjournalist Jenke von Wilmsdorff hat sich im Pro7-Format „Das Jenke Experiment“ chirurgisch verjüngen lassen. Politiker, Prinzen und Promis – und auch immer mehr „normale“ Männer – entscheiden sich für eine Haartransplantation. Daneben stehen die Fettabsaugung am Bauch und eine Kinn- und Kieferkonturierung ganz oben auf der Wunschliste, mit der Männer die Praxen der Beauty-Profis aufsuchen. Bereits vor vier Jahren hat die Deutsche Gesellschaft für Plastische und Ästhetische Chirurgie bekanntgegeben, dass die Augenlidstraffung der beliebteste ästhetisch-chirurgische Eingriff bei Männern ist. Trend: weiter ansteigend.
Ich inszeniere mich nicht als dicker Mann, sondern ich inszeniere mich, um Geschichten zu erzählen und bin nun mal dick. So bin ich und dazu stehe ich, aber letztendlich ist es für das Ergebnis sekundär. Allerdings bekomme ich oft das Feedback, dass es doch sehr mutig sei, sich selbst so darzustellen. Das finde ich nicht, weil ich mich in den Bildern selbst nicht wirklich als ‚Mich‘ wahrnehme, sondern die Aussage vorrangig ist. Ich sehe mich als Werkzeug, um eine Geschichte zu erzählen. Wenn ich als Fotograf Models engagiere, schaue ich nach irgendwas das mich ‚kickt‘ in einer Person, was Spannendes. Zugegeben, vielleicht sind das genau die äußerlich ‚unperfekten‘ Menschen, aber das merke ich, wenn überhaupt, erst hinterher.
To Kühne, Künstler
INTERVIEW MORESHA LOUISE
Moresha, du bist ein erfolgreiches Curvy-Model, was bedeutet für dich eine positive Körperwahrnehmung?
„Ich versuche, mich immer daran zu erinnern, dass mein Körper mehr ist als die Optik. Er trägt mich tagtäglich durchs Leben und bei über 80 Kilogramm ist das gar nicht so einfach. Die Body Positivity-Bewegung und all das, was ihr folgte, hat mich in der echten Welt gestärkt und noch selbstbewusster gemacht. Ich habe etwa Body Positivity-Posts auf Instagram gesehen, die mich langfristig begleitet haben. Auch in meinem Job bemerke ich einen Wandel. Vor einigen Jahren wurde ich ausschließlich für ‚Große Größen‘-Jobs gebucht, mittlerweile buchen mich Kunden, weil ich bin, wer ich bin, und nicht aufgrund meiner Konfektionsgröße. Auf gesellschaftlicher Ebene würde ich sagen, dass es inzwischen mehr Repräsentation von verschiedenen Körpertypen gibt als je zuvor, aber auch da ist noch Luft nach oben.“
Ich war schon immer eine sehr selbstbewusste Frau. Moresha Louise
Ist Body Positivity nur ein Instagram-Phänomen, wie einige behaupten, oder doch mehr?
„Die Body Positivity-Bewegung hat lange vor Social Media angefangen, damals hieß die Bewegung Fat Liberation. Es ging seinerzeit darum, mehrgewichtige Menschen zu entstigmatisieren und um deren gesellschaftliche Akzeptanz. Die Body Positivity-Bewegung hat sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt, heute geht es um Empowerment für alle Körpertypen und um die eigene Körperakzeptanz. In meiner Wahrnehmung spielt sich viel auf Social Media ab, aber ich bin auch der Meinung, dass die geteilten Inhalte in die reale Welt überschwappen. Body Positivity, wie es heute verstanden wird, ist etwas sehr Persönliches und deshalb muss jeder selbst und für sich daran arbeiten.“
Seit Gründung der Rosenpark Klinik vor 25 Jahren hat sich die ästhetische Medizin stark verändert. Im Mittelpunkt des heutigen Schönheitsideals steht die perfekte Natürlichkeit, nicht nur im Gesicht, sondern auch am gesamten Körper. Eine jung wirkende Figur wird in allen Altersphasen als Privileg angesehen. Was früher unmöglich schien, ist heute ohne Narben und nahezu risikolos mittels spezieller Therapien zur Routine geworden. Dr. med. Gerhard Sattler, Gründer und Ärztlicher Direktor Rosenpark Klinik
BODY DIVERSITY
Last Exit Schönheitschirurgie? Glaubt man Prognosen, wird die Generation Z, also alle nach dem Jahr 2000 Geborenen, in zwei, drei Jahrzehnten verstärkt auf natürliche Schönheit setzen. Gerade in einer vernetzten Zukunft mit sehr viel High Tech-Schönheit, werde natürliche Schönheit wichtiger, heißt es. Body Diversity, die Akzeptanz für die Vielfalt der Körperformen, überflügle dann Body Positivity. Erstere akzeptiert ebenso Herkunft, Religion und sexuelle Orientierung. Kurz: Ecken und Kanten statt perfekten Proportionen. Wenn das definierte Perfekte in Zukunft überall und jederzeit verfügbar ist, beziehungsweise man sich für schon kleines Geld optimieren lassen kann, wird das Unperfekte, das dann nicht jeder hat, interessant. Solche „Gegenbewegungen“ hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben.
Neben der körperlichen Gesundheit wird die psychische Balance in den kommenden Monaten im Fokus der Gesundheitsmärkte stehen. Corinna Mühlhäuser, Trend- und Zukunftsforscherin (Zukunftsinstitut, Frankfurt)