BAHNHOFSVIERTEL FFM - HIDDEN CHAMPIONS

Mikrokosmos und große Welt, Kontraste und Gemeinschaftsgefühl, Hochfinanz, Unternehmergeist und Milieu – die DNA des Frankfurter Bahnhofsviertels ist seit jeher vielschichtig. Zahlreich im Viertel sind die Hidden Champions und auch die Big Player, die alles daransetzen, das einzigartige kulturelle, gastronomische und unternehmerische Mosaik zu bereichern. THE FRANKFURTER traf einige von ihnen.

BIG SMALL NEIGHBOURHOOD

Einseitig geht es in der Berichterstattung oft um Drogenkonsum und Kriminalität im Bahnhofsviertel. Dabei ist der weltoffene Stadtteil mit seinen rund 200 denkmalgeschützten Gebäuden sehr viel mehr: ein starker Wirtschaftsstandort voller eigener Identität, Multikulturalität und Diversität, ein lebens- und liebenswertes Zuhause für 3.500 Menschen aus mehr als 180 Nationen und ein kulinarischer Hotspot, der seinesgleichen sucht. 23.000 Menschen haben hier ihren Arbeitsplatz, 2.000 Unternehmen sind im Viertel ansässig. Vernetzt und kollaborativ setzen sich verschiedene Akteur:innen, darunter der Gewerbeverein und die Eigentümerinitiative Bahnhofsviertel sowie die Initiative „Auf ins Viertel!“, für eine ganzheitliche, behutsame Sozialraumentwicklung ein.

Gemeinsames Ziel ist die Bewahrung der Identität des Viertels und gleichzeitig die Schaffung neuer Impulse für Wachstum und Zusammenhalt. Regelmäßig gibt es gezielte Aktionen und Events, die zahlreiche Besucher:innen ins Viertel ziehen (demnächst „Open Viertel 2024“ am 31. August). Am Kaisertor beleben neuerdings temporäre Aktivitäten die Aufenthaltsqualität. Der beliebte Kaisermarkt auf der unteren Kaiserstraße, bei dem vor allem heimische Produkte frisch vom Landwirt und Erzeuger angeboten werden, feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum und ist aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Das gemeinschaftliche Engagement aus dem Bahnhofsviertel zeigt Hand in Hand mit den von der Stadt Frankfurt angestoßenen Maßnahmen Wirkung. Langfristig ist dies ein Imagegewinn.

NEW ARRIVAL

Diverse wirtschaftliche Leuchttürme sind im Viertel aktiv. Im September kommt mit dem neuen Hauptsitz von Nestlé Deutschland am Baseler Platz ein prominenter Weltkonzern hinzu. Im zwölfgeschossigen Gebäude mit begrünten Dachterrassen werden bis zu 1.500 Menschen arbeiten. Anita Wälz, Director Sustainability & Corporate Communications bei Nestlé Deutschland: „Wir haben uns bewusst für einen gut erreichbaren Standort im lebendigen Zentrum der Geburtsstadt unseres Gründervaters Heinrich Nestlé entschieden. Wir freuen uns vor allem auf neue Perspektiven, Inspirationen und darauf, Teil dieser spannenden Nachbarschaft mitten in Frankfurt zu werden. Zudem sind uns Offenheit und Transparenz sehr wichtig. Im Bahnhofsviertel rücken wir näher an die Bürger:innen heran, als wir es vorher in Niederrad konnten.“

Der Nahrungsmittelkonzern weiß, dass im Bahnhofsviertel auch die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und Schicksale mehr oder minder hart aufeinandertreffen. Anita Wälz betont: „Wir kennen die Herausforderungen und wollen uns aktiv in der Nachbarschaft engagieren sowie Projekte und Initiativen unterstützen. Hierfür sind wir bereits mit verschiedenen Gruppen sowie auch mit der Stadt im engen Austausch. Wir freuen uns darauf, ein neues Viertel kennenzulernen mit den vielen Mittagspausen-Gelegenheiten oder After-Work-Locations, und mit unserem neuen Bürogebäude werden wir auch ein modernes, sichtbares Zeichen setzen. Wir setzen aber auch darauf, dass sich die Themen Sicherheit und Sauberkeit im Bahnhofsviertel weiter in eine positive Richtung entwickeln.“

HOW CHANGE SUCEEDS

Fast 50 Hotels jeder Kategorie und rund 250 Gastronomiebetriebe – darunter Spitzenrestaurants wie das „Weinsinn“ und das „Kabuki“, das seit über 35 Jahren für seine Teppanyaki-Küche bekannt ist – sind auf „nur“ 54,2 Hektar Gesamtfläche angesiedelt. Der Zusammenhalt ist groß, wie Rahwa Bumba, Managing Director des Lume Boutique Hotels, bestätigt: „Es ist eine besondere Art von Zusammenhalt, sowohl die Hoteliers und Gastronomen als auch der Gewerbeverein des Viertels sehen sich regelmäßig und man versucht gemeinsam, das Viertel immer attraktiver zu machen.“ Das stylische Luxushotel mit seinem Restaurant "Le Petite Royal“ befindet sich in einem denkmalgeschützten Gründerzeitensemble in der Neckarstraße. Die Probleme will die Geschäftsführerin nicht kleinreden: „Eine Veränderung funktioniert aber nur dann, wenn auch die Frankfurter:innen anfangen, ‚ihr Bahnhofsviertel‘ zu verstehen und zu lieben und diese Dynamik, die es von Natur aus mitbringt, zu verstehen.“ Sie bringt es auf den Punkt: „Für mich ist es das Viertel, was Frankfurt überhaupt erst zur Metropole macht. Hier treffen Menschen jeglicher Couleur mit den unterschiedlichsten Backgrounds aufeinander. Es ist das Tor zur Stadt, vielleicht nicht das, was sich jeder wünscht, aber das, was die Stadt braucht.“

LIKE A VILLAGE

Im Café Hoffnung auf der Kaiserstraße sind wir mit einem Mann verabredet, der den Mikrokosmos wie seine Westentasche kennt: Arno Börtzler, Anwohner und Vorsitzender des Regionalrats Bahnhofsviertel. „Wir sind hier wie ein kleines Dorf, jeder kennt jeden, und die nachbarschaftliche Community ist stark, was die Sicherheit erhöht“, erklärt der pensionierte Lehrer. Natürlich, „hier findet man das gesamte Spektrum der Menschlichkeit, auch bis zu den Grenzen des Unmenschlichen. Doch das Viertel ist so viel mehr als das, was man in der Presse liest.“ Ein so markanter Neuzugang wie Nestlé Deutschland verändere das Viertel nicht, ist er überzeugt. Im Gegenteil, es wirke stabilisierend, außerdem: „Gentrifizierung und steigende Preise in der Gastronomie sehe ich nicht. Wenn ein Lokal im Viertel neu eröffnet und überschreitet im Anfangsniveau zehn Euro, wird es nicht überleben. Ausgenommen sind Gourmetrestaurants.“
Alle Schichten und Szenen Frankfurts, Kunst, Handwerk und Start-Ups, treffen hier dicht aufeinander. Das finde ich sehr spannend, auch wenn es Konfliktpotential birgt. Doch der Benefit und die Schönheit des Viertels überwiegen. Ricarda Haase, Modedesignerin, „Menashion“
Im Viertel ist immer was los. Es ist lebendig und abwechslungsreich. Michele Heinrich, Bartender und Mitbetreiber Bar & Restaurant „Yaldy“ (ausgezeichnet als „Deutschlands schönste Bar“)
Ich kam, weil es im Bahnhofsviertel bezahlbaren Wohn- und Arbeitsraum gibt. Und ich bleibe hier, solange das Rotlicht scheint. Schuhdesigner Leonhard Kahlcke, Atelier für handgefertigte Schuhe und Maßschuhe
Ich möchte die klassische Musik zu neuen Hörern bringen. Es war schnell klar, dafür hier vor Ort zu bleiben, wo ich auch lebe, die Menschen kostenfrei einzuladen und die Konzerte so unkompliziert wie möglich zu gestalten. Das Viertel ist für so viele Menschen Ankunftsort – für viele täglich, für manche in ein neues Leben. Laurent Weibel, Geiger und Gründer der „Bahnhofsviertel Classics“
Unser Fünf-Sterne Hotel, dessen Geschichte bis ins Jahr 1905 zurückreicht, ist mittendrin und doch in einer ruhigen Lage, nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof und dem Museumsufer entfernt. Unsere Marke steht für Kunst und Design, viele Kunstinteressierte übernachten bei uns. Mit der Schirn Kunsthalle haben wir eine Kooperation. Kevin Nattermann, General Manager, Le Méridien Frankfurt
Das Bahnhofsviertel ist kein Slum. Hier wird in vielen Bereichen auf Weltniveau gearbeitet. Seit 16 Jahren betreibe ich eine Galerie in der Niddastraße und nie gab es die Überlegung wegzuziehen. Ein Treffpunkt für Künstler:innen und Kurator:innen ist die Pizzeria ‚7 Bello‘. Das Viertel vermittelt ein Gefühl der Freiheit und Weltoffenheit. Und seine Lebendigkeit rund um die Uhr ist auch eine Form von Sicherheit. Kai Middendorff, Galerist
Wir haben vorher in Paris gelebt. Jetzt sind wir schon fast zehn Jahre im Bahnhofsviertel. Der regelmäßige ‚Flee Market‘ vor unserem Laden am Francois-Mitterand-Platz bringt ein tolles Flair. Dimitrios Ntintis und Antonopoulou Anthi, Crêperie „Voilâ“
Wir sind Brüder und kommen aus Uganda. Unser ostafrikanisches Restaurant in der Niddastraße bietet seit sieben Jahren Fufu, Fisch und vieles mehr aus unserer Heimat. Eric und Ston Gottaa, „Hakuna Matata“

Friseurladen und Übungsraum für den Bahnhofsviertel-Chor im Haus „NiKa“. Das ehemalige Bürogebäude an der Ecke Nidda- und Karlstraße wurde umgewandelt in ein selbstverwaltetes Wohnhaus mit dauerhaft bezahlbaren Mieten. Die Bewohner:innen setzen sich für neue Formen des Wohnens und Arbeitens in der Stadt ein.