AUSTIN, TEXAS - THE BIGGER WOW

Cowboys, Öltürme und Barbeque haben sich seit der TV-Serie „Dallas“ als das typische Texas in unseren Köpfen verankert. Dabei hat gerade die Hauptstadt Austin weit mehr zu bieten, noch dazu wird sie als „New American Tec Hub“ gehandelt. THE FRANKFURTER-Herausgeber und temporärer Wahl-Texaner Robin Zabler stellt eine der temperamentvollsten und musikalischsten Städte der USA vor.

Ich stehe am Lady Bird Lake, ein Stausee am Colorado River, der Austin in zwei Hälften teilt. Der künstliche See verbreitet eine Idylle wie eh und je, nur Elektroboote unter fünf PS sind hier erlaubt. Kanus und Kajaks ziehen vorbei. Das Naturparadies, übrigens das Zuhause der größten Fledermauskolonie weltweit (in feuchtheißen Augustnächten schwärmen mehr als 1,5 Millionen der Tiere aus und gehen auf Nahrungssuche, ein echtes Spektakel), erscheint wie eine Konstante, während sich die Stadt selbst in einem rasanten Tempo verändert.

SILICON HILLS & BLUES

Seit meinem letzten Aufenthalt scheint sich Austin wieder einmal um die eigene Achse gedreht zu haben, weshalb es sich lohnt, immer mal wieder für ein paar Tage hierher zu kommen, um Neues zu entdecken. Die Südstaaten-Metropole ist jung, wohlhabend, gebildet, kultiviert und bietet eine hohe Lebensqualität – regelmäßig wird sie zum lebenswertesten Ort in den Staaten gekürt. Ja, und sie ist sehr selbstbewusst. „In Texas ist alles größer“, wissen die Einheimischen. Sogar das texanische Capitol in Austin ist größer als das in Washington.

Think bigger. Das Wachstum dieser Stadt ist enorm. Nicht nur, dass in Austin gut 50.000 Student:innen auf dem Hauptcampus der University of Texas leben, tausende Technologieunternehmen, Start-ups und prominente Headquarters ansässig sind und ständig neue dazukommen (darunter die Tesla Gigafactory 5 im nahen Del Valle und der 1-Milliarde-Dollar-Campus von Apple für bis zu 15.000 Mitarbeiter:innen), weshalb man den Spitznamen „Silicon Hills“ mit Stolz trägt, auch in Sachen Musik denkt man in Superlativen.

Austin nennt sich wohlklingend „Welthauptstadt für Livemusik“, ganz zu Recht, wenn man die Story dahinter kennt und bei einem Besuch praktisch überall auf Freiluft-Konzerte – selbst vor Supermärkten, Cafés und Tankstellen – trifft. Es gibt Hunderte Pop-up-Bühnen in der Stadt. Country-Musiker Willie Nelson – sagen wir mal salopp, Austins inoffizieller Stadtheiliger – kam 1970 aus dem durchkommerzialisierten Nashville nach Austin und begründete am Colorado River eine neue, unabhängige, raue Musikbewegung und wurde gemeinsam mit Johnny Cash und Kris Kristofferson zu einer Ikone des so genannten „Outlaw Country“. Um diesen Sound oder den allgegenwärtigen Historic Blues authentisch zu erleben, gehen Texaner:innen gern ins „White Horse Honky Tonk“ (mit Dance Floor) oder in den kleinen Nachtclub „Antone’s“. Hilfreich bei der riesigen Auswahl (mehr als 250 Bühnen allein in Downtown Austin) ist der Online-„Austin Music Venue Guide“ mit allen ikonischen Spots.

THE DRISKILL

Bin ich in der Stadt, nehme ich mir meist im „The Driskill“ eine gemütliche Suite. An der Ecke 6th Street und Brazos Street gelegen, also mitten im Entertainment- und Feinschmeckerzentrum Austins und nur zehn Gehminuten von historischen Sehenswürdigkeiten wie dem Texas State Capitol Building und der Congress Avenue Bridge entfernt, steht dieses ehrwürdige Juwel von 1886. Im prachtvollen Haus verbindet sich der Charme der „Alten Welt“ absolut stilvoll mit moderner Raffinesse und texanischen Akzenten. Ich mag diesen historischen Touch, der wie aus einem Film zu sein scheint. Außerdem ist das Frühstück in diesem gastfreundlichen Haus hervorragend und ich wage zu behaupten, im Frühstücksrestaurant, eine Art Déco-Perle, habe ich die gefühlt größte Cinnamon Roll, also Zimtschnecke, meines Lebens gegessen. Weniger greifbar ist eine geheimnisvolle Attraktion, mit der das legendäre Hotel das Publikum in den Bann zieht. Im Treppenhaus soll es ab und an spuken. Ruhelose Geisterfrauen in viktorianischen Gewändern streifen durch die Hallen von „The Driskill“, heißt es.

Wer ans Paranormale und Mysteriöse glaubt, kann sich hier wohl vor allem an den Tagen um Halloween eine wohlige Gänsehaut holen. Apropos. In Texas werden die Ende Oktober anstehenden Feierlichkeiten zum „Dia de los Muertes“ (Tag der Toten), ein mexikanisches Totenfest, traditionell groß begangen. Doch statt schauerlichem Horror geht es dabei um eine farbenfrohe Ehrung der Verstorbenen und dazu sieht man auf Schritt und Tritt – nicht nur in Austin, auch in San Antonio, Corpus Christi und der verlassenen Quecksilbermine Terlingua – bunte Prozessionen, Totenköpfe aus Marzipan und Zuckerskelette in den Auslagen der Konditoreien und prunkvoll geschmückte Altäre. Nur die Masken der fröhlich Feiernden bei diesem lebendigen Spektakel sind oft in Schwarz-Weiß, ein Ausdruck der Trauer, die mitschwingt. Diesen intensiven Einblick in die mexikanische Kultur sollte man sich nicht entgehen lassen.

HOT SPRINGS & PINK GRANITE

300 Sonnentage im Jahr. Klingt verlockend, ist es auch, und dank der allgegenwärtigen Klimaanlagen ist das Wetter – im Sommer mit Temperaturen bis weit über 40 Grad Celsius – prima zu genießen. Abkühlung hole ich mir manch-mal im „Town Lake“ oder am „Hamilton Pool Preserve“, ein Badesee mit Wasserfall und Grotte, versteckt in einem Naturschutzgebiet bei Dipping Springs. Tipp: Freibad „Barton Springs“, das aus heißen Quellen gespeist wird. Die sanfte, grüne Hügellandschaft um Austin lädt zu zahlreichen Outdoor-Aktivitäten ein, Wandern oder Mountainbiking zum Beispiel. Beliebter Panoramablick-Spot bei Tourist:innen ist der „Enchanted Rock“, ein gut 150 Meter hoher hügelartiger Felsen aus rosa Granit im natur- und denkmalgeschützten State Park östlich von Austin.

IN THE NET OF ART

Let’s talk about Art. Austin gilt als besonders liberal und ist offen für alles Kreative. Allein durch die unzähligen Livemusik-Events und Straßenfeste ist die Stadt oft eine einzige Bühne. Lassen Sie sich ruhig mitreißen und tanzen Sie auf offener Straße, hier machen das fast alle. Zu sehen gibt es in dieser sehr gepflegten Stadt an jeder Ecke etwas, was Lebensfreude ausstrahlt. East Austin ist voller hochwertiger Graffiti und Straßenkunst (dazu gibt es Themen-Touren).

Vielfältig sind ebenso die Museen. Zu meinen Favoriten gehört das Bob Bullock Texas State History Museum, das die Geschichte von Texas von der prähistorischen Zeit bis zur Gegenwart erzählt – und das mitreißend, hochspannend und mit modernsten Vermittlungstools. Ein Muss für alle, die hochkarätige zeitgenössische und klassische Kunst sehen möchten, ist das Blanton Museum of Art, das man aufgrund seiner Größe aber kaum an einem Tag schafft. Es gibt verstecktere Perlen und Quick Stops: das Elisabeth-Ney-Museum etwa, das schlossähnliche Haus einer deutschen Bildhauerin, die im 19. Jahrhundert mit berühmten frühen Texanern zusammenlebte und künstlerisch arbeitete. Oder das spektakuläre Wandbild „Tau Ceti“ an der Ecke 2nd Street und Brazos Street, das sich in Spektralfarben über zehn Stockwerke erstreckt, Austins größtes öffentliches Kunstwerk.

AUSTIN’S CULINARY SOUL

Let’s finally talk about Southern State Food. Natürlich gibt sich Austin auch bei der gehobenen Gastronomie mit nicht weniger als Superlativen zufrieden. Die Millionenstadt wird mittlerweile zu den größten kulinarischen Pionieren weltweit gezählt. Unzählige verführerische BBQ-Lokale und Fine Dining-Restaurants beweisen das. Wie in der Musikszene wirkt Austin als Schmelztiegel der Kulturen und bringt die unterschiedlichsten Einflüsse auf den Teller. Maiskuchen und Breakfast Tacos aus der Tex-Mex-Fusion sind natürlich ein Klassiker. Selbst die Vorlieben der frühen deutschen Einwander:innen für Kartoffelsalat, Rippchen und Würstchen sind bis heute präsent.

Experimentell geht es im „Emmer & Rye“ zu, wo ganz im ikonischen Stil von „Noma Copenhagen“ großartige Gerichte mit saisonalen und regionalen Zutaten entworfen werden. Oder das krasse Restaurant „Hestia“ mit seiner elefantengroßen Feuerstelle im Gastraum. Das von der griechischen Küche inspirierte Lokal setzt einen sehr modernen Ansatz für uralte Live-Fire-Cooking-Methoden um, bei denen kühne Aromen rund um Rauch, Asche und Holzkohle die Speisekarte dominieren. Beginne ich spät den Tag, schaue ich bei „Caroline“ oder „Stella San Jac“ zum Brunch vorbei, beides ganztägige Casual Refugien in Downtown Austin fürs Schlemmen nach deftiger Southern Home Cooking-Art mit leckerem BBQ. Tipp für nach Mitternacht: Whiskey und Cocktails in der Lounge „The Jade Room“, die wie eine 1950er-Jahre Japanese Bar für amerikanische Soldaten gestylt ist. Ein bisschen verrucht, eng, klasse Soul-Acts, sehr originell.

KEEP AUSTIN WEIRD!

Dallas und Houston sind größer und bekannter, doch Austin ist die freigeistigere und sicher progressivste Stadt im Lone Star State Texas. Hier lebt man gern ein bisschen schräger, bunter, studentischer und lässiger als anderswo. Kurz: wenig Mainstream und ein ähnlich sonniges Lebensgefühl wie an der West Coast. „Keep Austin Weird!“, ist daher nicht zufällig ihr Slogan. Gleichzeitig ist man vibrierende High Tec-City und zieht visionäre Vordenker:innen an. Austins Vibes sind absolut ansteckend und jeder, der in diese musikalische und extrem innovative Metropole kommt, erlebt die Metropole als wohlwollenden Riesen. Die Menschen sind sehr gastfreundlich und sprechen mit dem charmanten wie unverwechselbaren Texas-Akzent. Und klar, hohe Cowboyhüte sieht man manchmal, solche, wie sie Ölbaron J.R. Ewing von der „Dallas“-Family getragen hat. Doch mit einem Klischee leben die Texaner:innen und auch ich noch viel lieber: Geselliges Barbeque! Das Lebensgefühl schlechthin, glühende Leidenschaft von Jung bis Alt und ein großes Erbe aus der Lagerfeuerzeit.

Danke an Visit Austin!