Stadt und Land kulturell zu verbinden – das haben sich Johanna und Friedrich Gräfling zur Aufgabe gemacht. Das Sammlerpaar lebt und arbeitet zwischen Frankfurt und Wiesen im Spessart, umgeben von historischer Architektur, zeitgenössischer Kunst und ausgewählten Designklassikern. THE FRANKFURTER hat sie an beiden Orten besucht.
Die Kennedyallee im Stadtteil Sachsenhausen. Hier reiht sich ein großbürgerlicher Prachtbau an den nächsten. In einer Gründerzeitvilla aus dem Jahr 1904 leben und arbeiten Johanna und Friedrich Gräfling mit ihren zwei Kindern und Dackel Ypsilon. Das Paar lernt sich 2010 über gemeinsame Freunde in London kennen, wo Friedrich Architektur studiert. Er ist schon damals ein begeisterter Sammler zeitgenössische Kunst. Auch Johanna, die in Paris Kunstgeschichte und International Business studiert, liebt die Kunst und kennt deren Markt. Die beiden werden ein Paar, ziehen zusammen – und widmen ihr Leben fortan gemeinsam der Kunst. „Schon damals haben wir zum Beispiel zur Frieze Art Fair regelmäßig unsere Londoner Wohnung leergeräumt und darin exklusive Ausstellungen und Artist Dinner veranstaltet”, erinnert sich Johanna Gräfling. Als das Paar 2013 nach Frankfurt kommt und das Haus in der Kennedyallee bezieht, ist schnell klar: Hier wollen sie diese intime Form der Kunstvermittlung fortsetzen. Die Idee des Salon Kennedy war geboren: keine klassische Galerie, sondern ein Ort der Entschleunigung, an dem ein echter Diskurs über Kunst möglich ist.
SLOW ART CONSUMPTION
„Mit unserem Konzept knüpfen wir an die Salonkultur der 20er-Jahre an”, erklärt Friedrich Gräfling beim Rundgang durch die beiden rund 50 Quadratmeter großen, lichtdurchfluteten Ausstellungsräume. Der Architekt und Kunstsammler trägt ein Sakko aus dunkelgrauem Tweed, die hellblaue Krawatte ist farblich auf die Hose abgestimmt. „Uns geht es nicht um Besucherzahlen oder verkaufte Werke. Wir möchten einen Raum bieten, in dem Künstler:innen und Interessierte miteinander über Kunst ins Gespräch kommen.” Bis vor drei Jahren befand sich der Salon Kennedy noch in den Wohnräumen der Gräflings im Hochparterre. Seit Tochter Wilhelmine und Sohn Dagobert auf der Welt sind und ihrerseits Platz brauchen, ist er in den ersten Stock umgezogen. Hier finden heute auch regelmäßig die sogenannten Salonabende statt, exklusive Dinner für maximal 20 Gäste, bei denen der Austausch über Kunst im Mittelpunkt steht.
CREATING SPACES FOR ARTS
Einen Raum weiter, ebenfalls im ersten Stock, befindet sich das Büro der Gräflings. Als „Cultural Avenue“ realisieren der Architekt und die Kunsthistorikerin hier nicht nur Kunst-, sondern auch Architektur- und Innenarchitekturprojekte. An der Wand: ein Gemälde der amerikanischen Künstlerin Grace Weaver. Auf dem Tisch in der Mitte: Material- und Farbmuster neben Kunstkatalogen. „Für unsere Auftraggeber:innen planen und gestalten wir unterschiedliche Räume und Ausstellungsflächen”, sagt Friedrich Gräfling und zeigt auf ein hellgraues Architekturmodell aus Pappe. „Gerade arbeiten wir im Auftrag eines Sammlers an einem Schaulager für die Kunst von Alicja Kwade. Parallel entsteht in Bukarest ein Wohnatelier für den Künstler Christian Jankowski, für das wir das Farbkonzept und die Materialauswahl übernommen haben.” Auch wenn Johanna Gräfling seit der Geburt ihres zweiten Kindes deutlich weniger Zeit für kreative Arbeit hat, so arbeitet das Paar doch immer Hand in Hand: „Johanna ist in alle Schritte involviert und gibt unseren Projekten den letzten Schliff”, schwärmt Friedrich Gräfling. „Sie hat ein unglaubliches Gespür für Materialität und Farben.”
PLAY WITH COLORS AND SHAPES
Die Wohnung der Gräflings befindet sich im Hochparterre der Gründerzeitvilla. Auf rund 220 Quadratmetern gibt es hier Kunst, Kunst und nochmals Kunst. Aber auch einen einzigartigen Stilmix in der Inneneinrichtung, den das Paar selbst als „klassisch mit einem gewissen Bohème-Pop-Touch” beschreibt. Tatsächlich sind in den fünf Räumen des Stilaltbaus sowohl Einflüsse aus den 80er-Jahren wie auch aus Art Déco oder Rokoko erkennbar. „Wir kombinieren Formen und Materialien aus diesen experimentierfreudigen Epochen so, dass sie wieder harmonisch und klassisch zeitlos wirken”, sagt die Sammlerin. Das Sofa, auf dem sie sitzt, ist ein Unikat von Matteo Thun aus den 80er-Jahren. Der italienische Designer hat es während seiner Zeit bei Memphis Milano eigens für einen Sammler entworfen. Charakteristisch für das Designkollektiv war die Kombination von hochwertigen und vermeintlich minderwertigen, nicht zueinander passenden Materialien, Farben und Formen. Im Fall des Sofas sind dies echte Marmorfüße und Mahagonifurnier.
TRUE TO HISTORY
Auch die Gräflings beweisen Mut und Experimentierfreude in ihren Gestaltungen und Entwürfen: Im Wohnzimmer treffen glockenblumenblaue Wände auf Zierleisten in Tieforange. Dieser Ton korrespondiert wiederum mit dem Furnier des Thun-Sofas und findet sich auch im Vorhangstoff wieder. Im angrenzenden Esszimmer wurde eine babyblaue Wand mit senfgelben Zierleisten und pastellrosa Lamperie kombiniert. Drei Farben, die eigentlich nicht zusammenpassen. Doch der Raum wirkt trotz der expressiven Kombination ruhig und wohnlich. „Wann immer wir passende Farben für einen Raum auswählen, begeben wir uns auf historische Spurensuche”, verrät Johanna Gräfling. „Wir schleifen die Wände ab, bis wir auf alte Farbschichten stoßen." Friedrich Gräfling ergänzt: „Heute geht man oft davon aus, dass damals alles schwarz-weiß gewesen ist, weil alte Fotos das so übermitteln. In Wirklichkeit war es bunter, als viele denken. Ähnlich wie bei uns heute.”
WHEN POP MEETS COUNTRY LIFE
Viele Städter:innen blicken mit einer gewissen Arroganz auf ländliche Regionen. Vor allem kulturell habe die Provinz wenig zu bieten, so die landläufige Meinung. Johanna und Friedrich Gräfling sehen das anders: Seit zehn Jahren setzt sich das Paar dafür ein, dass Stadt und Land kulturell zusammenwachsen und bestehende Vorurteile abgebaut werden. Dabei greifen sie auf ihr beachtliches Netzwerk an zeitgenössischen Künstler:innen zurück, die sie regelmäßig ins beschauliche Wiesen einladen. 2014 gründeten sie zu diesem Zweck sogar einen Kunstverein in der Spessartgemeinde. Mit dem Einzug in die ehemalige Sparkassenfiliale am Dorfplatz beleben sie nicht nur einen dauerhaften Leerstand, sondern treten auch aktiv in den Dialog mit der Gemeinde. Mit der Zeit wächst auch der örtliche Skulpturenweg mit Werken von Gašper Kunšič, Laure Prouvost oder Markus Kleinfeld. Selbst das kleine schwarze Häuschen gegenüber vom örtlichen Rathaus entpuppt sich als Kunst: Die Arbeit von Michael Sailstorfer trägt den Titel „Wohnen mit Verkehrsanbindung“.
COLLECTING RARE TREASURES
Auch privat haben sich die Gräflings in der 1.000-Seelen-Gemeinde niedergelassen. Die ehemaligen Stallungen von Schloss Wiesen, einem historischen Jagdschloss aus dem Jahr 1597, hat das Ehepaar in ein kunstvolles Refugium verwandelt. „Wir verbringen unsere Wochenenden als Familie hier, genießen die Ruhe und die gute Luft“, erzählt Friedrich Gräfling. Auf rund 180 Quadratmetern finden sich hier zahlreiche Werke zeitgenössischer Künstler:innen – von Alicja Kwade über Andreas Gursky bis Wolfgang Tillmans – aber auch eine beachtliche Sammlung seltener Designklassiker, darunter viele Memphis-Stücke. Über dem Esstisch prangt an der fünf Meter hohen Decke ein Kronleuchter aus dem Palast der Republik. An der Wand des grünen Salons lehnt ein Exemplar des Spiegels „Ultrafragola” des Designers Ettore Sottsass, der von 1971 bis 1975 in Günther Netzers weltberühmter Diskothek „Lovers Lane” in Mönchengladbach hing. „Meistens haben wir eine sehr genaue Vorstellung von dem, was wir suchen”, verrät Friedrich Gräfling auf die Frage, wie man solche Schätze findet. „Trotzdem dauert es manchmal Jahre, bis das Stück dann bei Kleinanzeigen oder auf einer Auktion auftaucht.” Neben Stil, Mut und Experimentierfreude gehört also auch eine Portion Glück zu einem solch individuellen Einrichtungsstil. Aktuell sind die Gräflings auf der Suche nach einem Foto, das den seltenen Sottsass-Spiegel in Netzers Nachtclub zeigt.