AQUA WOLFSBURG - A CONCERT OF TASTE

Weltweit gefeiert, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet und das mit einer Küche, die nicht nach Sensationen strebt, sondern der Qualität von Produkt und Handwerk den Vorrang lässt. Sven Elverfeld ist in der Tat einer der ganz Großen, findet unser Autor Michael Wanhoff, der den gebürtigen Hessen im Restaurant Aqua in Wolfsburg besuchte. Eine Empfehlung über Frankfurts Grenzen hinaus.

Einst absolvierte der Erlenseer eine Konditoren-Lehre in der Stadtbäckerei Schadeberg in Bruchköbel und anschließend eine Kochlehre beim Luftfahrt-Caterer LSG. Das alles klingt sehr bodenständig und lässt nicht gerade auf Sterneküche schließen. Und dennoch zählt Sven Elverfeld heute nicht nur zu den besten deutschen Köchen, sondern ist auch weltweit ein Star der Küche. Kein Wunder, denn seine Stationen bei Willi Tetz im Humperdinck oder bei Dieter Müller zeichneten seinen Weg voraus. In die große weite Welt ist er nie gegangen, von einem Stipendium in Japan und einer Zeit auf Kreta einmal abgesehen. Viel wichtiger war ihm die solide Basis, die er nach seiner Kochlehre mit einer Weiterbildung zum geprüften Gastronom und Küchenmeister ausbaute.

Quality meets inspiration

Seine Versessenheit auf Produkte und Qualität macht seine Küche so besonders, viele seiner Zutaten bezieht er von Lieferanten und Züchtern, die mindestens genauso kompromisslos sind wie er. So liefert seit Jahren Jochen Gaues das Brot, er gilt als einer der besten Bäcker des Landes. Die Forelle stammt aus der Lüneburger Heide, das Lamm aus der Müritz, und ein befreundeter Jäger bringt auch ab und zu etwas vorbei. „Ich bin kein großer Fan von Luxusartikeln, lieber greife ich zu Nischenprodukte aus der Gegend, die es oft nur acht bis zehn Wochen im Jahr gibt“, beschreibt Elverfeld seine Philosophie. „Mich inspirieren die Jahreszeit und eben das Produkt. Manchmal schießen mir beim Autofahren oder nach dem Aufstehen Ideen durch den Kopf, die ich dann zu Papier bringe.“ Spätestens hier merkt man, dass Elverfeld strukturierter Künstler ist. Er bringt die drei bis vier Hauptkomponenten, die er verbinden möchte, zu Papier und notiert sich daneben, was er daraus machen kann: „In diesem Kontext entsteht, wie ich das Gericht letztlich gestalte, auch von der Textur her. Ich mag es nicht, alles zu Brei zu machen.“

The musical menu

Das Menü eröffnet der seit vierzig Jahren bekennende Kiss-Fan mit seiner Reminiszenz an seine Zeit auf Kreta. Minimalistisch erscheint als Amuse-bouche die karamellisierte Kalamata-Olive, gefüllt mit Ziegenfrischkäse. Gigantisch hingegen das vollkommen gelungene Spiel zwischen süß und salzig. Besser geht ein solcher Kontrast nicht, und ich erahne, dass dies die Ouvertüre zu einer fantastischen Oper sein wird. Die anschließende Gänseleber mit gelierter Essenz wird begleitet von einem Birnen-Karamell, Malz, Erdnuss und Röstzwiebeln. Es gibt nur wenige Gerichte, die auch nach Wochen und Monaten im Gedächtnis bleiben – die Elverfeld’sche Gänseleber zählt definitiv dazu! Beim Kabeljau zeigt sich wieder die Genialität des Drei-Sterne-Kochs: Er verbindet den Meeresfisch mit mariniertem Rotkohl, einer Räucherfisch-Velouté und setzt ihm, einer Krönung gleich, einen Nocken Imperial-Kaviar obenauf. Das Zwischenspiel wird fortgesetzt mit einem Kaisergranat, garniert mit hauchdünnem Blumenkohl und einer Krustentier-Essenz.
Ich bin kein großer Fan von Luxusartikeln, lieber greife ich zu Nischenprodukte aus der Gegend, die es oft nur acht bis zehn Wochen im Jahr gibt. Sven Elverfeld

The grand finale

Der Kiss-Fan tritt am ehesten beim Hauptgang in Erscheinung, nämlich dann, wenn Elverfeld die Miéral-Taube zum Rock’n’Roll-Part seines Menüs macht. Für seine Interpretation der Taube bedeckt er sie mit einem Blatt Romana-Salat, das mit Parmesan, geräucherten Mandeln und Radieschen umhüllt wird. Spätestens hier bewahrheitet sich Elverfelds Credo, dass der Gast nach einigen Gängen keinewegs ableiten kann, was ihn als nächstes erwartet. Zunächst klassisch endet die Rock-Oper mit dem Champagnercreme-Sorbet, dessen Cremigkeit weltweit einzigartig sein dürfte. Schlicht Mais und Honig heißt das letzte Dessert, begleitet von Radicchio und Mandel. Nicht nur, dass dieser Gang, ähnlich wie die Bühnenshow von Kiss, aufwändig in Szene gesetzt wird, überraschend sind die unterschiedlichen Aromen und die texturelle Vielfalt. Zurück bleibt die Erinnerung an einen unglaublichen kulinarischen Konzertabend. Lange noch denke ich nach, was es denn nun war – Oper oder Hardrock-Konzert? Am Ende jedoch setzt sich eine Erkenntnis durch: Geil war's!