A MUSCLE NAMED COURAGE

Mut heißt Veränderung. Und Veränder­ungen brauchen Mut. In Interviews mit sehr mutigen Menschen fragen wir, wie viel Beherztheit es braucht, Komfortzone und gängige Wege risikoreich zu ver­lassen. Vom Lohn ihres Muts erzählen sie uns.

Ein Sabbatical, eine Weltreise, Karaoke auf der Straße singen oder endlich der Höhenangst den Mittelfinger zeigen – viele Wünsche und Träume kribbeln tief im Bauch, doch oft fehlt uns der Mut, sie tatsächlich in die Tat umzusetzen. Wir zögern, vermeiden, verschieben. Zu viel Risiko, zu viele Unsicherheiten, die Angst vor der Blamage. Dabei ist Mut gar nicht das Gegenteil von Angst. Selbst die erfolgreichsten Menschen haben Riesenängste – und wagen es trotzdem, Neuland zu betreten und Chancen zu ergreifen. „Angst beginnt im Kopf, Mut auch“, sagt ein Sprichwort. Wichtig ist dabei Beherztheit, nicht zufällig leitet sich Courage vom lateinischen Wort für Herz, „Cor“, ab. Wer etwas Mutiges wagt, sagen wir, am Ende das Gipfelkreuz eines Sechstausenders berührt oder für andere unbequeme Worte ausspricht, fühlt sich euphorisch und oft wie von einem Druck befreit. Manche mutige Erfahrungen brennen sich tief in die Seele ein. Einige können ein Leben neu lenken.

WITH BRAVE & HEART

Mut kann man lernen, sagen Psycholog:innen. Es gibt gute Techniken, etwa das Ergebnis zu visualisieren. Mut ist wie ein Muskel, den man auf Ausdauer trainieren muss, sagt die Erfahrung. Ein Hasenfuß wird nicht über Nacht zum Übermütigen. Mut über den eigenen Schatten zu springen, das heißt auch, in Kauf zu nehmen, vielleicht zu scheitern, unternehmerisch mit einer Sache auf die Schnauze zu fallen. Mut ist kein Garant für Erfolg – aber die Erfahrungen daraus sind unbezahlbar und stärken uns nachweislich für den weiteren Weg. Wir haben mit drei ganz unterschiedlichen Menschen gesprochen, die ganz unterschiedlich ihren Mut leben. Auf hoher See, nicht ungefährlich, auf der Bühne, nachdem das Schicksal die Karten neu mischte, und an der Spitze eines Unternehmens, das das wegließ, auf das andere nicht verzichten wollen. Ihr Mut ist Inspiration. Alle erlebten Herausforderungen. Doch die innere Haltung entscheidet: „Ich sage nicht, dass ich diese Tiefschläge einstecken musste, sondern durfte“, sagt Miriam Höller, früher Stuntfrau, heute Keynote-Speakerin. Schön, wenn wir manchmal ein bisschen beherzter wären. Denn ohne kleine und große Mut-Taten, sprich, aktives Gestalten, fühlt sich das Leben irgendwann nach verpasstem Glück an.

A KING OF FROZEN FOOD

Felix Ahlers führt den Tiefkühlkosthersteller Frosta in zweiter Generation. Der Bremerhavener gilt bei vielen als „leiser, aber beharrlicher Revolutionär der Lebensmittelbranche“. Bereits 2003 entschied sich das Unternehmen für ein „Reinheitsgebot“ und verbannte alle Geschmacksverstärker, Farbstoffe und Aromen aus seinen Gerichten. Außerdem begann man, mit einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie zu agieren. Ahlers unternehmerischer Mut, anfangs in der Branche belächelt, trug Früchte.

Warum gehört zum Mut auch das Timing?

Felix Ahlers: „Wir haben damals komplett mit dem gebrochen, wie es die Lebensmittelindustrie über Jahrzehnte handhabte. Die meisten meinten, das funktioniere sowieso nicht und dass es technisch gar nicht möglich sei, viel zu teuer und zu kompliziert. Nachdem wir das ‚Reinheits-gebot‘ umgesetzt hatten, ist in den ersten zwei Jahren alles, was wir erwartet hatten, nicht eingetreten. Ein enormer Rückschlag, das Unternehmen machte Millionenverluste und stand fast vor dem Aus. Erst der Faktor Zeit und eine offene, transparente Kommunikation mit den Verbraucher:innen brachten die Wende. Letztere brauchten einfach Zeit, um zu verstehen und zu schmecken, was das Reinheitsgebot ausmacht, das hatten wir unterschätzt.“

Was ist aktuell das „Mutigste“ in Ihrem Sortiment?

„Koreanische Streetfood-Gerichte. Vegan und mit fermentierten Zutaten, wie sie in der traditionellen koreanischen Küche vorkommen. Und: Nach und nach wollen wir alle Verpackungen auf Papier umstellen. Die Entwicklung neuartiger Papierbeutel erwies sich allerdings als schwieriger als gedacht. Bislang konnten wir dies erst bei vier Produkten umsetzen. Wir arbeiten weiter daran, denn es ist ein wichtiger Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Rückschläge und herausfordernde Phasen muss man überwinden.“

Haben Sie mutige Vorbilder?

„Unser Unternehmen wurde 1961 gegründet. Damals aßen die Deutschen wenig Fisch, denn ‚frischer Fisch‘ war eben oft nicht frisch. Wir hatten den Mut, es komplett anders zu machen und den Fisch bereits auf dem Schiff zu frieren, seinerzeit eine kleine technische Revolution. Grundsätzlich finde ich mutig, wer bereit ist, eingefahrene Wege zu hinterfragen und auch zu verlassen. Ein Realitätsbezug sollte dabei vorhanden sein. Man muss verstehen, was wirklich am Markt geht, persönliche Vorlieben spielen da keine Rolle.“

In die Zukunft mit Mut?

„Eines unser ‚mutigen‘ Ziele ist es, den Anteil von Fleisch und tierischen Proteinen weiter zu senken, und ich glaube, dass es möglich, aber nicht einfach ist. Noch immer verkaufen sich Gerichte mit Fleisch deutlich besser, was mit den Essgewohnheiten zu tun hat.“

NEVER GIVE UP

Miriam Höller war Deutschlands bekannteste Stuntfrau, an Filmsets scheute sie kaum ein Risiko. Bekannt wurde sie auch als Germany’s Next Topmodel-Kandidatin und Covergirl des Playboy. 2016 war ihr Schicksalsjahr. Sie hatte einen schweren Arbeitsunfall und verlor ihre große Liebe, Red-Bull-Air-Race-Weltmeister Hannes Arch, der tödlich verunglückte. Seitdem ist Miriam Höller als Keynote- Speakerin und Moderatorin aktiv, um andere Menschen zu inspirieren und ihnen Mut zu einem aufregenden Leben zu machen.

Was und wo wären Sie ohne Mut? 

Miriam Höller: „Vermutlich heute nicht mehr am Leben. Ich sage nicht, dass ich diese Tiefschläge einstecken musste, sondern durfte. Sie haben mich zur Reflexion gezwungen, aus mir eine reifere, klarere und wertschätzendere Miriam gemacht. Ich bin durch sie extrem gewachsen. Es war jedoch harte Arbeit. Bis heute sage ich jeden Morgen ‚Ja‘ zum Leben. Ich weiß nämlich jetzt, wie zerstörerisch und gemein es sein kann und zugleich auch wunderschön und chancenreich. Es liegt an mir, worauf ich den Fokus lege. Bleibe ich widerwillig und träge im Bett liegen, werde ich mich selbst niemals überraschen können, wozu ich fähig bin. Ich werde auch nicht erkennen können, wie wertvoll ich bin. Heute weiß ich, dass aus den schlimmsten Dingen Schönes und Großes resultieren kann, wenn ich nur will. Und ich will!“

Wie treffen Sie Entscheidungen?

„Das Wichtigste ist, sich mutig zu entscheiden. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum, eigenständig und eigenverantwortlich zu handeln. Entscheidungen mit großen Konsequenzen fallen uns natürlich schwer, denn wir haben Angst zu versagen. Wir spielen auf Zeit, doch das bringt uns zum Stillstand. Dabei werden wir zum passiven Akteur unseres eigenen Lebens. Wenn wir unser Leben selbst gestalten wollen, sind mutige Entscheidungen essenziell. Sie bringen die Dynamik in unser Leben. Auch Scheitern gehört dazu, denn daraus lernen und wachsen wir.“

OUR HOME IS THE SEA

Tim Hund und Vincent Paul Goymann träumten schon in ihrer Schulzeit von einer großen und vor allem nachhaltigen Weltreise ohne Flugzeug. Jetzt sind sie seit vier Jahren mit dem Segelboot unterwegs und bloggen auf See (www.segeljungs.de). Ist das mutig? Tim: „Ich würde sagen, es war anfangs eine Mischung aus Abenteuerlust und Unwissen. Wenn man etwas nicht kennt, hat man auch keine Angst davor. Mit meiner jetzigen Erfahrung wäre ich wahrscheinlich ein bisschen vorsichtiger.”

Gab es entmutigende Situationen?

Tim & Vincent: „Das Leben auf einem Segelboot kann anstrengend sein. Es sind viele schlaflose Nächte und oft langer, unterbewusster Stress, den man nicht einfach so ablegen kann. Denn wenn man segelt, gibt es keinen Stoppschalter. Zwei unserer Mitsegler sind abgesprungen. Auf dem Boot und an so vielen verschiedenen Orten, haben wir einiges erlebt. Ob es sieben Meter hohe Wellen waren, der siebte Tag in Folge mit Nudeln oder das dreimonatige Warten auf einen neuen Reisepass, es findet sich immer eine Lösung. Entmutigt wurden wir dabei nie! Manchmal mag man zwar kurz verzweifeln und sich ärgern, aber Aufhören ist keine Option. Zu schön sind all die Erfahrungen und Erlebnisse, die wir auf dem Boot haben. Der Wert des Positiven überwiegt bei weitem.“

No risk, no fun?

„Es braucht nicht immer ein Risiko, um Spaß zu haben. Trotzdem tut es mit Sicherheit gut, seine Komfortzone zu verlassen und neue Sachen zu entdecken. Wer einmal den Schritt ins Abenteuer geschafft hat, dem wird es ab dem zweiten Mal schon viel leichter fallen. Denn so schwer ist das gar nicht. Wenn ich mein Ich vor vier Jahren treffen würde, wäre der Unterschied enorm. Wir haben uns beide sehr verändert. Man kann sagen, dass wir als Jungs gestartet sind und uns mittlerweile als Erwachsene bezeichnen dürfen. Auf emotionaler Ebene heißt das wohl, dass wir in vielen Situationen genau wissen, was wir wollen. Wir können uns selbst viel besser einschätzen und glauben zu wissen, wann wir es nicht können.“